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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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ärgerlichen Handbewegung fortgeschickt. Dieser plötzliche Anflug von Freundlichkeit schürte ihre Sorge um ihn. Aber wahrscheinlich arbeitete er nur zu viel. «Gerne, Papa. Dies hier ist wunderschön.» Sie ergriff ein gläsernes Kästchen. Ein blauer Schmetterling war darin, fast größer als ihr Handteller.
    «Ah, det werte Frollein kennt sich aus. Ein
Morpho menelaus
. Janz, janz selten. Vom Amazonas.»
    Amely kannte sich kein bisschen aus, aber das Prachtstück schien wie aus einer Phantasiewelt gekommen zu sein. Wie mochte es ausgesehen haben, als es noch lebendig gewesen war – flirrend und flatternd? Es glänzte in Farben, von denen sie gar nicht gewusst hatte, dass es sie gab. Allein die Größe war atemberaubend. Ihr Vater zückte sein Portemonnaie, und sie drückte das Kästchen an die Brust. Während sie ihren Kaffee trank, konnte sie den Blick kaum davon losreißen.
    «So, meine Tochter», sagte der Vater, den Rauch seiner Zigarre ausstoßend. «Für die nächste Stunde gehöre ich ganz dir.»
    «Eine ganze Stunde? Das glaube ich nicht.»
    «Doch, doch. Was sollen wir machen? Bei den Löwen und Elefanten vorbeischauen?»
    «Riesenrad fahren!» Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. «Von dort kannst du wenigstens nicht plötzlich ins Kontor flüchten.»
    Sein Schmunzeln wirkte so unglücklich, dass ihre gute Laune augenblicklich verflog. Aber die Sonne brach zwischen den heller werdenden Wolken hervor, vielleicht war das ja ein gutes Zeichen. Sie stopfte den Schmetterling in ihr Handtäschchen und ließ den Schirm in Julius’ Obhut zurück. «Ich bin solange beim Stammestanz, hörst du, die trommeln schon», sagte er. Seine Hand umschloss ihre, und sie befürchtete, dass er sie im Beisein des Vaters umarmen wollte. Doch er beschied sich damit, höflich seine Mütze zu heben. Amely lief mit Theodor Wehmeyer an der Seite hinüber zum Riesenrad. Auch dieses Abenteuer war neu für sie. Ihr Vater hingegen stieg ganz gelassen in die Gondel. Sogar hier schienen seine Gedanken weit fort zu sein.
    Als die Gondel abhob, beschwerte sich ihr Magen. «Huch! Papa!» Sie schob die Hand in seine Manteltasche und lachte nervös auf. Rasch wurden die Wege, Buden und Menschen kleiner und der Septemberwind noch kühler. Zwischen den bereits herbstbunten Bäumen wirkten die Schaudörfer mit ihren großblättrigen Pflanzen wie tropische Inseln. Amely wollte Julius winken, fand ihn aber nicht mehr. Sie lehnte sich in die gepolsterte Bank, lauschte dem Stimmengemurmel und dem Knarren des Radwerks.
    «Weißt du noch, die
Affaire Sauciere

    «O Gott, ja», sagte sie. «Ich spüre ja jetzt noch meinen Hintern.»
    Nun, ganz so präsent war ihr die anderthalb Jahrzehnte zurückliegende Angelegenheit nicht mehr. Sie war schließlich erst sechs gewesen, als sie bei irgendeiner großen Familienfestlichkeit die Bratensoße mitsamt Soßenschüssel über den Schoß des Tischnachbarn gekippt hatte, weil er ihr unterm Tisch ständig gegen das Bein getreten hatte. «Ruben hat geheult wie ein Schlosshund, weil die Soße so heiß war, und ich hab ordentlich Dresche gekriegt. Vor allem, weil die Sauciere aus teurem Meißner gewesen war. Stimmt’s?»
    «So war es. Kannst du dich auch an seinen Vater erinnern?»
    An Ruben erinnerte sie sich besser, weil der Fünfjährige so laut geplärrt hatte. Aber der Mann, der sich nach ihrer Schandtat über sie gebeugt, ihr in die Wange gekniffen und schallend gelacht hatte?
Onkel Kilian
hatte sie ihn nennen müssen, obwohl er nur der Cousin des Schwagers ihres Vaters war. Sie meinte sich an ein scharfgeschnittenes Gesicht zu erinnern, blonde strähnige Haare, einen Mund, der groß und wulstig war. «Sein Schnauzbart saß tadellos, und er hat ständig daran herumgefingert. Das weiß ich noch.»
    O ja, und sie wusste noch, dass der fröhliche Mann seinem nach Schmorbraten stinkenden Sohn vor den Augen der vierzig, fünfzig Gäste so heftig ins Gesicht geschlagen hatte, dass der Abdruck seiner Hand noch beim Abendessen zu sehen gewesen war.
    Ihr Vater räusperte sich. «Er hat um deine Hand angehalten.»
    «Tatsächlich? So sehr hab ich Ruben beeindruckt?»
    «Lass den Spott. Er hat
für sich
um dich angehalten.»
    «Donnerwetter! Na, hab ich ein Glück, dass ich am Sonntag mit Julius verlobt werde.»
    «Amalie!»
    Erschrocken schwieg sie. Wenn ihr Herr Vater sie so nannte, dann ging es um ernste Angelegenheiten. War etwa dieser Heiratsantrag der Grund für seine Grübeleien? Aber das konnte nicht sein!
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