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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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Während er sie mit düsterem Schweigen auf die Folter spannte, keimte in ihr der Verdacht, gleich etwas zu hören zu bekommen, das sie niemals, niemals hören wollte. Gar nicht hören konnte, denn sie gehörte Julius.
    «Kind, Amely …» Er berührte ihre Hand, doch statt sie zu umschließen, griff er nach seinem Spazierstock. Seine andere Hand langte in seinen Ausgehrock. Langsam –
langsam
 – zog er eine Photographie heraus. «Schau, das ist Kilian, wie er heute aussieht. Nun, das Bild ist ein paar Jahre alt, aber das macht ja nichts. Er ist jetzt dreiundvierzig, also in seinen besten Jahren …»
    «Papa.» Ihre Stimme zitterte. «Papa, warum zeigst du mir das?»
    «Schau es dir doch erst einmal an.»
    Sie wollte nicht. Ihr Blick streifte die Photopappe, und das genügte. Ein stolzer Mann in einem extravaganten Anzug, mit breiter Brust und einem kleinen Wohlstandsbauch. Den Bart trug er mittlerweile
à la Kaiser
. Der Mund war geschlossen, das Gesicht streng. Die Augen waren von wilder Entschlossenheit erfüllt.
    «Vielleicht erinnerst du dich, dass er seine Arbeit in einer Reederei aufgegeben hatte, um Auswanderungsagent zu werden. Damit hat er viel Geld verdient und ist schließlich selber über den Atlantik gegangen. In Brasilien hat er sein Glück gemacht. Ihm gehören mehrere Kautschukwälder; er ist einer der reichsten Männer in Manaus.»
    «Aber er hat doch … er hat eine Frau.»
    «Sie ist tot. Sie starb an derselben Krankheit wie deine Mutter – Schwindsucht.»
    Ich will nicht. Ich will nicht!
Die Worte wollten hinaus. Aber sie hervorzustoßen hätte bedeutet, das Ungeheuerliche wahr werden zu lassen: Ihr Vater wollte sie diesem Mann geben.
    Aber das war doch lächerlich.
    «Sieh mal, Amely-Kind …» Die Sanftheit, mit der er jetzt sprach, verhieß nichts Gutes. «Ich hatte ja nichts gegen Julius. Aber du weißt, dass ich mir immer einen Besseren für dich erhofft hatte. Ich war schon immer viel zu nachgiebig mit dir. Wäre ich ein strengerer Vater, hätte ich zu deiner Verlobung keine Einwilligung gegeben, und dann käme das alles jetzt nicht so aus heiterem Himmel für dich. Julius Kohlmann ist ein guter Buchhalter, aber ihm fehlt es an Ehrgeiz, er wird immer nur ein guter Buchhalter bleiben. Die Firma …»
    «Ach, darum geht es?»
    «Ja.
Wehmeyer & Sohn
haben jahrzehntelang Nähmaschinen produziert. Dann war der Markt gesättigt, und dein Großvater und ich haben aufs Fahrrad gesetzt. Aber das haben viele getan, der Fahrradverkauf läuft schleppend. Und jetzt ist es wieder an der Zeit, umzusatteln. Man muss mit der Zeit mitlaufen, wenn man nicht untergehen will. Und die Zeit rennt wie noch nie. Der Kaiser will vor der Welt mit einer Marineflotte glänzen. Passagierschiffe fahren ständig mit neuen Rekorden über den Atlantik. Du siehst ja, sogar die Riesenräder auf dem Rummel müssen immer größer werden, damit die Leute einsteigen.»
    «Und du willst Motorwagen bauen.»
    «Kilian gibt das nötige Geld dazu. Ich muss sein Angebot annehmen, denn Fahrräder interessieren ihn nicht. So einfach ist das.»
    So einfach
, dachte sie. Unter dem Stoff der Handtasche ertastete sie das Glaskästchen. Seit einiger Zeit hatte ihr Vater die Themen Auswanderung und Brasilien gerne angeschnitten. Ihr Postkarten von Kunden gezeigt, was er sonst nie getan hatte. Von einer entfernten Verwandten aus Rostock erzählt, die ihrem Mann nach Deutsch-Ostafrika gefolgt und dort glücklich war. Dann hatte er ihr ein Buch über Alexander von Humboldts Tropenreisen und das neueste Old-Shatterhand-Abenteuer in Südamerika geschenkt. Heute der Ausflug zur Völkerausstellung. Und ihr war nichts aufgefallen. Selbstverständlich nicht!
    «Ich wäre niemals von allein auf diesen Gedanken gekommen», fuhr er fort. «Aber dann war Kilian hier, vor ein paar Monaten, ich erzählte ihm von meinen Plänen für die Firma und dass sie glücken müssen, um sie vor dem Ruin zu retten. Er erzählte mir von seinem prächtigen Sohn und ich von dir. Was du für eine hübsche junge Frau geworden bist, wie sehr du das Geigenspiel und die Oper liebst. Wir lachten über die Affaire Sauciere. Und so kam eines zum anderen. Glaub mir, als es ausgesprochen war, erging es mir so wie jetzt dir – ich konnte nicht glauben, dass von einem Moment auf den anderen alles so anders war.»
    «Er ist mehr als doppelt so alt wie ich.» Ihre Stimme zitterte nicht, krächzte nurmehr wie die eines vom Sturm durchgeschüttelten Vogels. Der zaghafte
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