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Mandels Buero

Mandels Buero

Titel: Mandels Buero
Autoren: Berni Mayer
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Eins

    Als ob man einen Vorhang aufzieht. Als ob man einen Vorhang aufzieht, und es ist heller, als man geahnt hat. Taghell ist gar kein Ausdruck. Und dann reißt man das Fenster auf, und die Luft ist plötzlich so warm, mit so einer Wärme hat man nicht mehr gerechnet. Dass der Winter, dieser qualvolle, überhaupt in diesem Leben wieder vorbeigehen würde, das hat man nicht mehr einkalkuliert. Man reißt das Fenster auf, und die ganze Wohnung wird aufgeblasen mit einer minzhaltigen Frischluft, die sich ihren Weg bis in die letzte schimmlige Ecke von der wintergepeinigten Wohnung bahnt. Vorhang weg, Fenster auf, und alles fängt im Handumdrehen an, sich zu verändern.
    Die Veränderungen, auf die ich Jahre, wenn nicht Jahrzehnte gewartet hatte, fingen Punkt halb elf an einem Montagvormittag Mitte März an. Es war auf den Schlag genau halb elf, als der Vorhang sich hob und jemand das Fenster aufriss. So ähnlich stelle ich mir einen Kriegsausbruch vor. Plötzlich riecht die Luft anders, die Leute reden nur noch über das eine Thema, alles ist im Aufbruch, und andauernd passiert irgendetwas Neues. Diese klamme Starre, in der ein Land und eine Biografie oft seit Jahren liegt, diese Zustandsgruft aus Nichtstun und Herummosern wird von einer einzigen Begebenheit aufgebrochen. Hunderte und Tausende von Tagen gehen durch einen hindurch, als ob man ein Geist wäre, aber dann kommt der eine Tag, der einen umrennt, wo man sich dreimal überschlägt.
    Der Moment, als die Malleck durch die Bürotür kam, war so ein Fensteraufreißen. Selbst der Mandel mit seiner stoischen Art muss in dem Moment gemerkt haben, dass da etwas aufbricht. Dass ab jetzt kein Stein mehr auf dem anderen bleibt. Vielleicht überschätze ich aber da auch die Empathie vom Mandel, vielleicht hat der die Dringlichkeit des Anliegens erst bemerkt, als es sich schon zu einer alles verschlingenden Gesamtkatastrophe entwickelt hat. Ich wusste jedenfalls in dem Moment, als die Malleck unser Büro betrat, dass kein Stein mehr auf dem anderen bleiben würde. Die alte Routine war vorbei. Eine Zugluft kam mit dieser Frau herein, die einen mit einem Schlag in ein anderes Leben hinüberwehte. Ich weiß, dass der Mandel es nicht so hat mit Bedeutungsschwangerschaften und Gefühlsüberschwang, aber das hat selbst er im Nachhinein zugegeben, dass das Auftauchen der Malleck eine reißende Veränderung der Umstände eingeleitet hat.
    Für so eine Botschaft der Veränderung ist natürlich der Botschafter nicht ganz unerheblich. Das ist ja sozusagen der erste Eindruck von dem, was einem bevorsteht, und der erste Eindruck ist der wichtigste. In der Liebe, beim Bewerbungsgespräch und beim Kundentermin. Da kann mir keiner etwas anderes erzählen. Unser erster Eindruck von der kommenden Veränderung war über die Maßen betörend, und nichts hätte uns mehr in die Irre führen können als so ein erster Eindruck. Der Mandel und ich, wir waren vom alten Beruf her eigentlich Prominenz gewohnt, also mehr der Mandel als ich. Bei Interviews und Premieren, bei Konzerten und Fernsehaufzeichnungen, bei Empfängen und hinter den Kulissen. Aber man täuscht sich, wenn man denkt, ein Prominenter, besonders ein weiblicher, könnte einen nicht mehr nervös machen. Bei einem Kaliber wie der Malleck wird selbst der Mandel hektisch.
    Ich glaube ja, dass sie mich schon vorher vom Sehen gekannt hat. Den Mandel kannte sie auf jeden Fall, weil der regelmäßig ihren Mann interviewt hat. Sie grüßte den Mandel immer so nett, wenn sie ihn sah. Und ich war ja meistens dabei. Vom Sehen her sollte ich ihr mindestens ein Begriff gewesen sein. Und dann gab es noch den einen Abend in der Schwarzen Pumpe, wo ich mit Tim Schultze an der Bar gesessen bin und er von seinen One-Night-Stands schwadroniert hat und ich den Blick ein wenig umherschweifen ließ. In der Ecke links am Fenster ist die Malleck gesessen, und unsere Blicke haben sich wie alte Schulfreunde getroffen, die sich auf der Straße nach fünfzehn Jahren wiederbegegnen. Mit einem vorsichtigen Lächeln beim Entgegenkommen. Ich hab mir das nicht eingebildet, egal, was der Mandel sagt. Immer wieder war der Blick von der Malleck in die Mitte des Raumes gewandert, wo meiner schon gewartet hat, während der Schultze weiter über eine schwadroniert hat, die ihm im Aufzug von seiner Firma … Ich will’s gar nicht sagen, weil es eine eklige Vorstellung ist, wenn man den Schultze kennt.
    Die Zehntelsekunden, bevor die Malleck »Guten Morgen« sagte,
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