Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
Vom Netzwerk:
still, lauschten einer Trommel und sahen zu, was auf dem hölzernen Aufbau mitten auf der Kaistraße geschah.
    «O mein Gott», flüsterte Amely.
    Zwei Milizionäre legten dem gefesselten Mann, der breitbeinig auf der geschlossenen Falltür eines Podestes stand, eine Schlinge um den Hals und zogen sie sorgfältig stramm. Sein Oberkörper war nackt. Schweiß floss ihm in Strömen über die behaarte Brust. Er starrte über die Menge hinweg. Auf das Schiff, das sich nicht für sein Schicksal interessierte, denn die Matrosen strafften die Taue um die Molen und schoben planmäßig den Laufsteg aus. Sein Mund bewegte sich – waren es Bitten oder Flüche, die er hervorstieß? Die Trommel verstummte. Ein Polizist hielt eine kurze Rede, von der Amely kein Wort verstand.
    Er packte den Hebel der Falltür.
    «Fräulein Wehmeyer?» An der Tür klopfte es. Der Steward. «Darf ich Ihre Koffer holen lassen?»
    Amely riss Bärbel vom Fenster weg und schlug es zu. Sie öffnete dem Steward, hockte sich auf das Bett, ließ sich von dem Mädchen die Stiefeletten schnüren und sah derweil zu, wie zwei kräftige Matrosen die schwarzen Ungetüme hinausschafften. Nur ihr Handtäschchen blieb ihr. Und ihr Geigenkasten, den niemand sonst anrühren durfte. Sie drückte ihn an sich und kreuzte die Arme darüber. Warum, ach, warum konnte sie nicht einfach in dieser Kabine bleiben und ins Deutsche Reich zurückkehren? Sie kramte nach ihrem Batisttüchlein und drückte es vor die Augen.
Nicht weinen
, ermahnte sie sich. Das hatte sie während der letzten Wochen daheim zur Genüge getan und auch in den ersten Tagen hier auf dem Schiff. Aber irgendwann waren die Tränen versiegt. Und so, hoffte sie, sollte es bleiben.
    «Fräulein Amely. Fräulein Amely, wir müssen gehen.» Bärbel stand mit gesenktem Kopf an der schmalen Eingangstür. Amely straffte die Schultern. Sie schob das Täschchen über den Arm, ergriff ihren Geigenkasten und trat auf den Gang, wo der Steward wartete. Mit einer eleganten Handbewegung bat er sie, ihm zu folgen. An Deck hatte sie das Gefühl, gegen eine Wand aus heißer Luft zu prallen. Erleichtert stellte sie fest, dass das Leben in die Menschenmenge zurückgekehrt war. Der Galgen war verwaist; er hätte auch ein Lastenkran sein können.
    Vielleicht war ja gar nichts passiert. Bestimmt war es so.
    Sie setzte den Fuß auf das fremde Land und hielt auf den Kutschwagen zu; sicherlich hatte Kilian ihn geschickt. Doch kaum hatte sie ihn erreicht, fuhr er an.
    «Nimm deine schmutzigen Finger weg!», hörte sie Bärbel hinter sich kreischen. Ein Kind stob davon. Ein anderes ließ nicht ab, Bärbels Kleid und auch das von Amely zu befingern. Amely beeilte sich, ein paar Réis hervorzukramen. Doch kaum hatte das Kind ihr die Münzen aus den Fingern gerissen, kam eine ganze Schar herbeigerannt. Das Getöse, das die bettelnden Stimmen verursachten, war ohrenbetäubend. Amely nahm Bärbel bei der Hand und zerrte sie mit sich.
    «Wo müssen wir denn hin?», jammerte Bärbel. Sie hatten die Kinder abgeschüttelt und standen vor einer Häuserreihe. Fleckige Wäsche flatterte vor den Fenstern. Es stank nach Urin. Ein paar alte Frauen hockten auf einer gusseisernen Bank, knufften sich in die Seiten und entblößten gackernd zahnlose Münder. Zwischen den Knien hielten sie halbgerupfte Hühner, und die Federn flogen.
    «Ich weiß es doch nicht.» Amely schüttelte Bärbels Arm. «Heul nicht!»
    Sie marschierte zurück in Richtung des Hafens. Kilian hatte dem Vater nicht mitgeteilt, wie es ab Macapá weiterging. Man würde sich schon um sie kümmern. Und nun? Wenn sie doch nur die Männer mit ihren Koffern sähe!
    Wie aus dem Boden gewachsen stand ein Milizionär vor ihr. Seine Miene über dem fettigen Schnauzbart war grimmig. Er blaffte ihr Unverständliches entgegen; sein Speichel flog.
    «Abrir!»
    «Ich verstehe Sie nicht.»
    Er schlug mit der Faust nach dem Geigenkasten. Entsetzt drückte Amely ihren zerbrechlichen Schatz an sich.
    «Abrir, Abrir!»
    «Einen Augenblick bitte. Por favor.» Amely zerrte ihr Wörterbuch aus der Handtasche. Es gelang ihr kaum, es mit einer Hand zu halten und darin zu blättern. Unter dem Geschrei, das auf sie niederprasselte, war sie nicht imstande, sich zu konzentrieren. Der Schweiß rann ihr in Bächen den Rücken hinunter und hinterließ sicherlich hässliche Flecken. Ihr traten die Tränen in die Augen, weil all das so erniedrigend war.
    «Bitte öffnen Sie den Geigenkasten.» Ein schmales Männlein,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher