Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0054 - Wir und der Hellseher

0054 - Wir und der Hellseher

Titel: 0054 - Wir und der Hellseher
Autoren: Wir und der Hellseher
Vom Netzwerk:
Steven Allyn besuchte am Sonntagnachmittag seinen Onkel, Thornwell Hamilton, der in der der 64. Straße im Viertel der Puerto Ricaner wohnte, obwohl er ein weißer Mann war.
    Im Grunde seines Herzens hasste Allyn diese Besuche, wie er seinen Onkel hasste, und dass er ihn trotzdem zweimal im Monat besuchte, hatte seinen Grund darin, dass er ein paar Hundert Dollar auf seines Onkels Bankkonto vermutete, die er zu erben hoffte.
    Als Steven die kleine, altmodisch eingerichtete Wohnung betrat, hatte Hamilton, der völlig allein lebte, den Kaffeetisch gedeckt.
    »Guten Tag, Junge«, freute er sich. »Nett, dich wiederzusehen.«
    »Hallo, Onkel Ham«, antwortete Steven und zwang sich ein Lächeln ab. »Wie geht’s!«
    »Oh, gut. Ich gieße rasch das Kaffeewasser auf. Mache es dir bequem, Junge!«
    Hamilton ging in die angrenzende Küche. Steven schlenderte im Wohnzimmer herum, streifte am voll besetzten Bücherbord vorbei und entdeckte auf dem ebenfalls mit Büchern überladenen Schreibtisch zwei neue dickleibige Folianten. Da er Bücherkaufen für Geldverschwendung hielt, ärgerte er sich über die Anschaffung, die das erwartete Erbe schmälerte, und leider schaffte sich Hamilton eine Menge solcher Bücher an. Wenn es sich wenigstens noch um Romane gehandelt hätte, so hätte Allyn zur Not noch Verständnis dafür aufgebracht, aber es waren Bücher über Psychologie, Metaphysik und allerlei derartiges Zeug, von dem Allyn nicht einmal wusste, was die Namen bedeuteten.
    Sein Onkel kam mit der Kaffeekanne. Er sah seinen Neffen bei den Büchern.
    »Interessieren sie dich?«, fragte er, während er eingoss. »Ich habe sie gestern erstanden. Sie stammen von einem Mann, der völlig neue Erkenntnisse auf d iosem Gebiet gesammelt hat.«
    »Ich weiß gar nicht, warum du dich damit befasst«, antwortete Allyn unfreundlich. »Du hast nichts dergleichen gelernt, und ich fürchte, du verstehst nur die Hälfte von dem, was in ihnen steht, und das noch falsch.«
    »Leider habe ich nichts gelernt«, entgegnete Hamilton ruhig, »aber du weißt doch, warum ich solche Bücher lese. Ich will wissen, was mit mir los ist.«
    »Ach, dieser elende Unsinn, von dem du sprichst«, schrie Steven Allyn und vergaß vor Wut die mögliche Erbschaft. »Ich kann diesen Quatsch nicht hören. Rede nicht davon!«
    Hamilton sah seinen Neffen an und sagte ruhig: »Wie du willst, Steven!« Er lächelte milde und ein klein wenig belustigt.
    Trotzdem entstand nach dem Ausbruch des jungen Mannes eine Pause der Verlegenheit, in der nicht gesprochen wurde. Steven, dem das Schweigen peinlich war, suchte nach einem Thema.
    »Hast du den letzten Bericht über den John-Cresbyl-Mord gelesen?«, fragte er. »Sie haben die Frau verhaftet, und die Zeitungen schreiben, es lägen schwerwiegende Beweise gegen sie vor. Sie sieht übrigens gut aus. Cresbyl wusste, was er sich für seine Dollars kaufen konnte. Sie ist ein richtiges hübsches Girl. Wäre schade, wenn der Richter sie auf den Stuhl schickte.«
    Er zog die zusammengefaltete Zeitung aus der Jackentasche und reichte sie Hamilton über den Tisch. Der Alte nahm sie, betrachtete das Bild der schönen, dunkelhaarigen Frau und sagte plötzlich: »Sie hat niemanden umgebracht!«
    Allyn riss ihm das Blatt aus der Hand.
    »Weißt du das besser als die Polizei?«, höhnte er. »Du solltest lesen, was über den Fall hier steht. Sie und Cresbyl waren allein in der Wohnung. Cresbyl ist mit dem Eispickel aus der Küche erstochen worden, und die ersten Stiche bekam er in den Rücken versetzt. Schön, es waren keine Fingerabdrücke an dem Griff, aber sie wird schlau genug gewesen sein, ihn nach der Tat abzuwischen. Sie behauptet, im Schlafzimmer gewesen zu sein und nichts gehört zu haben, aber Cresbyl ist übel zugerichtet worden, und es ist ganz ausgeschlossen, dass jemand, der sich im Zimmer neben dem Tatort aufhält, nichts von dem Verbrechen gemerkt haben soll. Und außerdem war sie vor Jahren noch eine kleine Artistin in einem erbärmlichen Zirkus, aus dem Cresbyl sie herausholte und heiratete. Seine Großzügigkeit ist ihm nicht gut bekommen. Ich wette, es ist ein klarer Fall von Eifersuchtsmord. Cresbyl ist zwar ein hoch angesehener Geschäftsmann gewesen, aber er hatte eine Schwäche für Frauen. Es soll in letzter Zeit Streit zwischen ihm und seiner Frau gegeben haben, weil er sich für eine andere interessierte. Sie fürchtete wohl, er könne sie in die Gosse zurückschicken, aus der sie kam, und darum tat sie es. Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher