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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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Herr Oliveira schlug sich vor Schreck an die Stirn. «Verzeihen Sie, Senhora», rief er und eilte aus dem Zimmer. Statt zurückzulaufen, arbeitete sie sich durch das Fenster und rannte ihm nach. Tatsächlich, Ruben betrat den Salon. Sämtliches Gesinde war auf den Lärm hin herbeigeeilt. Alle waren wie erstarrt, auch Herr Oliveira, der nervös an seinem Krawattenknoten nestelte. Allein Doktor Barbosa marschierte auf Ruben zu.
    «Oliveira, rufen Sie polícia!», brüllte er. Eine solche Stentorstimme hätte Amely dem kleinen Mann mit dem gemütlichen Backenbart gar nicht zugetraut. Was tat er überhaupt hier, mit offener Weste, offenem Hemdkragen und bis über die Ellbogen hochgekrempelten Ärmeln? Aus seiner Hosentasche baumelte ein blutfleckiges Tuch.
    «Nein», rief Amely, und sicherheitshalber noch einmal auf Portugiesisch: «Não! Sehen Sie doch, wer er ist!»
    Er drehte den Kopf nach ihr, stirnrunzelnd, als überlege er, weshalb denn diese überspannte Hausherrin wieder zurück war und ihren Mund auftat. «Senhor Oliveira, tun Sie …»
    «Nein! Nein, nein», schrie sie. Und schüttelte den Kopf. All diese Menschen erkannten Ruben nicht. Doch, die älteren taten es, begriffen es nur nicht. Sie weigerten sich zu glauben, dass dieser Mann, nackt und übersät von barbarischen Tätowierungen, die Haare lang und wirr, der verlorene Sohn war. Wo war nur Maria?
Sie
würde es verstehen. Amely wagte nicht, Ruben aus den Augen zu lassen und sich nach der Negerin umzusehen. Er schritt in die Mitte des Salons. Nacheinander blickte er jedem prüfend in die Augen. Zwei Dienstmädchen liefen weg. Ein drittes machte einen hastigen Schritt zurück, stolperte und fiel auf den Hintern. Auch Miguel war da – ihm klappte der Unterkiefer herunter.
    Vor Herrn Oliveira blieb Ruben stehen.
    «An Sie erinnere ich mich.» Er ging weiter, musterte Doktor Barbosa. «An Sie ebenfalls.» Dann betrachtete er eine bleiche Consuela, deren Knie sichtbar zitterten. «An dich nicht.» Bevor er bei Bärbel anlangte, nahm sie die Beine in die Hand und rannte zu Amely.
    «Frollein! Frollein!» Sie rieb sich die Ohrmuschel, wie um sich zu vergewissern, dass sie nicht ebenfalls solch grässliche Knochennadeln trug. «Ist er …»
    Amely nickte und hob den Finger an die Lippen. Ruben war vor die Schwarze Maria getreten. Sie hatte die Hände vor die Brust geschlagen. Aus den Rosinenäuglein rannen Tränen wie gläserne Perlen. Als Einzige lächelte sie, und das geradezu glückselig.
    Herr Oliveira räusperte sich, die Hand am Mund. «Senhor … Wittstock.» Kaum war das Ungeheuerliche ausgesprochen, ging ein Raunen durch das versammelte Gesinde. «Sie kommen zur rechten Zeit. Wenn Sie Ihren Vater noch einmal sehen wollen, bevor er …»
    «Was ist passiert?», fragte Ruben. «Hat ihn endlich die Malaria erwischt? Oder der Gin?» Er schob einige Leute mitsamt der Schwarzen Maria beiseite. Amely erschrak zutiefst, als sie Kilian entdeckte. Er lag auf dem Esstisch, um ihn blutige Tücher, in denen schreckliche Dinge lagen: eine schmale Zange, eine Pinzette. Eine Pistole. Er war in seinen goldenen Hausmantel gekleidet, barfuß. Unter den Kniekehlen lag eine zusammengerollte Decke; unter dem Nacken ein Kissen.
    «Doutor Barbosa», Amely eilte zu ihm. Erstaunt warf er einen Blick auf ihre nackten Füße, die unter dem gerafften Seidenkleid herausschauten. «Wer hat auf ihn geschossen?»
    «Er selbst.»
    Nicht da Silva?
, lag ihr auf der Zunge. Sie schaffte es gerade noch, es herunterzuschlucken. «Um Gottes willen, warum? Doch nicht etwa meinetwegen?»
    «Die Preise für Kautschuk sind an den Börsen dramatisch gefallen», erwiderte Herr Oliveira an des Arztes Statt. «Es kann dafür nur einen Grund geben: Irgendjemandem ist es gelungen, eine große Menge Samen außer Landes zu bringen und erfolgreich irgendwo anzubauen. Eigentlich unmöglich, aber wer kann schon genau sagen, was möglich ist. In Malaya, besagen die ersten Gerüchte.»
    Himmel, wo war denn Malaya? Irgendwo in Südostasien, wo die Briten herrschten. «Und das kann keine normale Schwankung sein?» Die Frage kam ihr dumm vor. Kautschukpreise schwankten nicht, sie stiegen nur. Julius hatte ihr das so gesagt. Was verstand sie auch von diesen Dingen? Sie hatte sich nie sonderlich dafür interessiert – Kautschuk war der Geruch, der Kilian umgab, und den hatte sie nur ungern eingeatmet.
    «Nein, Senhora.»
    Allmählich dämmerte ihr, was da geschehen war. Jemandem war gelungen, was sie so
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