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Die Bucht des grünen Mondes

Die Bucht des grünen Mondes

Titel: Die Bucht des grünen Mondes
Autoren: Isabel Beto
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sterbe.»
    Ruben beugte sich über ihn.
    «Mein … mein Sohn», seufzend sprach Kilian aus, was er sich all die Jahre verwehrt hatte. «Ich würde dich gerne sehen.»
    Ruben hob die Hände über Kilians Gesicht. Dicht darüber schwebten sie, und Amely hielt nun alles für möglich. Selbst, dass er ihn würgte. Hinter ihm keuchte Maria auf.
    Langsam ließ Ruben die Fingerspitzen auf seines Vaters Gesicht sinken. Sie glitten darüber, zitternd, behutsam. Ein Tropfen fiel auf Kilians Wange. Ruben neigte sich vor, nahm das geschundene Gesicht zwischen die Hände. Und legte die Wange an Kilians Wange.
    «Es hat alles so kommen müssen.» Kaum mehr ein Hauch, Kilians Worte an ihn. «Da hat … Amely … schon … recht.»
    Er fasste in Rubens Haar. Seine Hand sackte zurück; die andere erschlaffte in Amelys Hand endgültig.

[zur Inhaltsübersicht]
Epilog
    «Andrea Chénier – eine Oper über die Französische Revolution, von Umberto Giordano», las Amely auf einem riesigen Plakat, das zwischen weißen Säulen im ersten Stock des Teatro Amazonas hing. «So etwas hätte zu Kaiser Pedro des II . Zeiten wohl nicht auf dem Programm gestanden. Sehen wir’s uns an? Ein bisschen Kultur schnuppern würde dir ja nicht schaden. Und um ein gesellschaftliches Ereignis, das dich der haute société vorstellt, wie Frau Ferreira sagen würde, kommst du sowieso nicht herum. Ich schätze, du wirst sie schrecklich finden. Aber sie wird dich lieben. Maria plant schon Soireen. Und man pflegt gelegentlich ins
Grand Hôtel International
zu flanieren, da gibt es leckeres Eis und Champagner.»
    Rubens zweifelnder Blick wanderte an der Fassade der Oper hinauf. Hier war er schon einmal gewesen, wusste sie aus seinen Erzählungen, in der Nacht von Véspera do Ano Novo. Ein anderes Leben, eine andere Zeit … «Ich frage mich augenblicklich eher, ob es noch Mädchen und Männer gibt, das Fest des Uirapuru zu feiern.»
    Sie drückte seine Hand. Ob es darauf je eine Antwort gab?
    Seite an Seite schritten sie im schönsten Sonnenschein, der sämtlichen Schweiß aus den Poren trieb, über das kautschukgedämpfte Pflaster des Opernplatzes. Die Leute glotzten. Wann sah man schon eine Dame mit ausladendem Sonnenhut, ebenso ausladenden Ballonärmeln, diamantbestickten Volants am bodenlangen Kleid und mit einem Fächer in der Hand, um sich der Moskitos zu erwehren, eingehakt bei einem Mann, der sein kragenloses Hemd offen und die Haare lang trug. Die Knochennadeln steckten nach wie vor in seinem Ohr. Es hatte Geschrei gegeben, als er sich Maria gegenüber geweigert hatte, sie zu entfernen – nun ja. Er war immer noch seines Vaters Sohn. Über den ‹Lärmgeist›, den er seiner Erklärung nach lauter höre, wenn er es täte, hatte sie die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen. Das tat sie ohnehin öfter, seit er zurück war. Immerhin hatte er sich in eine Tuchhose und Schuhe bemüht. Das Hemd ordentlich zu schließen, konnte er sich jedoch nicht überwinden – wie jeder anständige Yayasacu hätte er sich geschämt, auch noch seine Brust zu bedecken. Amelys Toilette fand er jedoch stets interessant. Es machte ihm Freude, ihr das Korsett zu schließen oder zu öffnen. Und ihren Bauch zu liebkosen, der bald nicht mehr hineinpassen würde.
    Allen Ernstes hatte er sie im Unterhemd auf die Straße mitnehmen wollen.
    Wie würde es hier werden, wenn der Kautschuk nicht mehr herrschte? Verwandelte sich Manaus eines Tages in eine verwunschene Geisterstadt, die prächtigen Gebäude von gewaltigen Wurzeln und Schlingpflanzen überwuchert? Und dieses Opernhaus, diese stolze goldene Kuppel mit den Farben Brasiliens, würden Abenteurer dereinst in den Dschungel eindringen, um sie zu suchen wie Eldorado?
    Sie kamen an einer Reihe von Motorwagen vorüber, deren es immer mehr gab. «Das ist ein Benz Velo», erklärte Amely. «Kilian hat so einen im Kutschenhaus stehen.» Schwungvoll, als hätte er das schon oft getan, setzte sich Ruben hinter das aufragende Lenkrad und legte die Hände darauf.
    «Oliveira soll ihn verkaufen, was sollen wir damit», überlegte er. «Bin ich jetzt wirklich bald arm, wie Vater gesagt hat? Vorstellen kann ich mir das nicht. Aber ich weiß nicht so wirklich, was das ist: reich oder arm.»
    «Wenn du zufrieden bist, bist du reich. Wenn du gierst, bist du arm. Ich glaube, das ist überall gleich.»
    «Es ist vielleicht seltsam für einen Kautschukbaron, alle Sklaven freizulassen. Und sämtliche Arbeiten einzustellen.»
    «Das willst
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