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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen
Autoren: Michael Peinkofer
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Harbour
Zwei Monate später
    I m Hafen von Leith herrschte reger Betrieb.
    Die Morgensonne schien vom Himmel, und die See war ruhig. Unentwegt kamen Schiffe den Firth of Forth herauf – Handelsschiffe zumeist, die Waren aus Spanien und Westafrika brachten, aber auch aus Frankreich und von den Inseln. An den Piers, wo die Segler vor Anker lagen, drängten sich Matrosen, Hafenarbeiter und Passagiere; Kisten mit Waren und Gepäck wurden verladen, Fässer mit Trinkwasser an Bord genommen, die von sechsspännigen Wagen angeliefert wurden. Hier wurde eine Dreimastbark zum Auslaufen klar gemacht, dort kehrte eine Brigg der königlichen Marine von einer Patrouillenfahrt zurück.
    An jenem Kai, an dem die Schiffe aus Übersee festzumachen pflegten, lag die Fortune vor Anker, ein stolzer Schoner, der unter britischer Fahne segelte. Die Fortune stand kurz vor dem Auslaufen; das Gepäck war verladen und die Vorräte an Bord genommen, und unter den strengen Augen des Ersten Offiziers traf die Mannschaft die letzten Vorbereitungen.
    Am Kai waren die Passagiere dabei, sich von ihren Verwandten zu verabschieden, ehe sie die wochenlange Reise antraten, die sie auf die andere Seite des Ozeans bringen würde, in die Neue Welt.
    Unter ihnen waren auch Sir Walter, Quentin und Mary, die nicht länger dem Haus derer von Egton angehörte, sondern den schlichten Namen Mary Hay trug, nachdem sie ihrem Quentin in der Kirche von Dunfermline das Jawort gegeben hatte.
    »Und ihr seid sicher, dass ihr es euch nicht noch einmal überlegen wollt?«, erkundigte sich Sir Walter. »Ihr braucht nicht in die Neue Welt zu gehen, um miteinander glücklich zu werden. Ihr seid Lady Charlotte und mir in Abbotsford stets willkommen.«
    »Danke, Onkel. Aber Mary und ich haben uns entschieden. Wir werden einen neuen Anfang wagen. In einem Land, in dem man nicht so sehr danach fragt, was jemand ist, sondern was er aus sich macht.«
    »Dann bist du dort richtig aufgehoben, mein Junge. Du hast alles, was ein junger Mann braucht, um das Leben selbst in die Hand zu nehmen. Man hat dich zu mir geschickt, damit du das Handwerk des Schriftstellers erlernst. Aber du kannst alles werden, was du willst, Quentin. Du musst es nur wollen.« Damit wandte sich Sir Walter an Mary. »Und du bist ebenfalls bereit, dein Glück zu suchen, mein Kind?«
    »Das bin ich, Onkel. Zum ersten Mal in meinem Leben werde ich wirklich frei sein, und ich habe vor, diese Freiheit zu nutzen. Ich möchte Gedichte schreiben – genau wie du.«
    »Eine vorzügliche Idee. Ich bin sicher, dass du das Talent dazu hast.«
    »Und was wirst du tun?«, fragte Quentin. »Wollen Tante Charlotte und du nicht doch mit uns kommen? Ich bin sicher, Amerika würde einen berühmten Schriftsteller mit offenen Armen willkommen heißen.«
    »Ich und Schottland verlassen? Niemals, mein Junge. Ich bin hier geboren, und ich lebe hier, und eines Tages werde ich auch hier sterben. Ich liebe dieses Land zu sehr, als dass ich ihm jemals den Rücken kehren könnte. Ich werde mich weiter dafür einsetzen, dass es zu neuer Blüte gelangt – aber nicht, indem wir uns gegen die Engländer zur Wehr setzen, sondern indem wir Hand in Hand mit ihnen eine neue Zeit beginnen. Nach dem Besuch des Königs in Edinburgh stehen uns alle Möglichkeiten offen. Ich habe das Gefühl, dass das Land einer guten Zukunft entgegengeht – als wäre mit dem Schwert auch die Hoffnung zu unserem Volk zurückgekehrt.«
    »Ich begreife noch immer nicht, wie all das geschehen konnte«, sagte Mary. »Weshalb hat sich die Prophezeiung der Bruderschaft nicht erfüllt? Warum hat der Blitz just in dem Augenblick eingeschlagen, als Malcolm mich töten wollte?«
    »Es war der Geist des Bruce«, war Quentin überzeugt. »Ruthven selbst äußerte diese Vermutung, kurz bevor er starb. Der Geist von König Robert wachte über das Schwert und verhinderte, dass sich die schrecklichen Taten von einst wiederholen konnten. Vielleicht war dies die Gelegenheit, auf die er seit einem halben Jahrtausend gewartet hatte. Die Gelegenheit, sich endlich vom Fluch des Schwertes zu reinigen und Wiedergutmachung zu üben.«
    »Eine hübsche Geschichte, mein Junge.« Sir Walter schüttelte bedächtig den Kopf. »Allerdings bin ich eher geneigt zu glauben, dass Malcolm of Ruthven einer einfachen Regel der Physik zum Opfer gefallen ist – nämlich der, dass Blitze dazu neigen, sich in exponierte Gegenstände zu entladen, vornehmlich dann, wenn sie aus Metall gefertigt sind. Ein
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