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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen
Autoren: Michael Peinkofer
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auf dem kalten Opferstein lag. Hatte der verderbliche Blitz auch sie ereilt?
    »Nein! Bitte nicht …«
    Quentin hastete zu ihr und beugte sich über sie – um mit unsäglicher Erleichterung festzustellen, dass ihr Herz noch immer schlug.
    Als sein Blick auf das Runenschwert fiel, das neben dem Opferstein im Boden steckte, sah er auch, woher die roten und grünen Lichtstrahlen gekommen waren: von leuchtenden Rubinen und blitzenden Smaragden, die in den Griff des Schwertes eingearbeitet und unter dem verbrannten Leder zum Vorschein gekommen waren. Die Rune jedoch, die die Schwertklinge verunziert hatte, war zu Quentins maßloser Verblüffung restlos verschwunden!
    Der junge Mann kam nicht dazu, seiner Verwunderung Ausdruck zu verleihen, denn jetzt überstürzten sich die Ereignisse. Charles Dellard, der neben dem leblosen Körper seines Anführers niedergefallen war und seinen Tod festgestellt hatte, fuhr wutschnaubend in die Höhe. In einer raschen Bewegung glitt seine Rechte unter das weite Gewand und riss einen gekrümmten Dolch hervor.
    »Die Hexe muss sterben!«, keifte er mit einer Stimme, die es an Raserei leicht mit der seines glücklosen Anführers aufnehmen konnte. Schon wollte er sich auf Mary stürzen, um zu Ende zu bringen, was Malcolm of Ruthven versagt geblieben war.
    Quentin handelte, schneller, als sein Verstand reagieren oder seine Vorsicht ihn warnen konnte. Gewandt wie eine Raubkatze schnellte er empor, sprang über den Opfertisch, auf dem die noch immer bewusstlose Dame seines Herzens lag, und katapultierte sich dem Angreifer entgegen. Dass er dabei selbst Gefahr lief, von Dellards Dolch ereilt zu werden, war ihm gleichgültig. Die Wut, die Frustration und die Furcht der vergangenen Tage brachen sich Bahn und verliehen Quentin schier übermenschliche Kraft.
    Im Sprung bekam er Dellard zu fassen, packte ihn an seinem Gewand und riss ihn von den Beinen. Hart landeten die beiden Männer auf dem Boden, in tödlicher Umklammerung umfangen. Ein zähes Ringen um den Besitz der Waffe setzte ein.
    Sir Walter, dessen Häscher das Weite gesucht hatten, humpelte zum Steintisch, um seinem Neffen zu Hilfe zu eilen. Da gellte ein heiserer Schrei durch die Nacht, der die aufgeregten Rufe der Sektierer noch übertönte.
    »Quentin«, ächzte Sir Walter und schickte in seiner Verzweiflung ein Stoßgebet zum Himmel. Er erreichte den Opfertisch, auf dem Mary of Egton lag, gewahrte das Schwert, dessen Edelsteine im Licht der Fackeln glänzten – und sah die beiden Männer, die wie leblos auf dem Boden lagen, der sich mit Blut tränkte.
    »Quentin …«
    Eine der beiden Gestalten regte sich, richtete sich zunächst nur halb auf und blickte sich benommen um, ehe sie sich schließlich ganz erhob. Zu seiner unsagbaren Erleichterung erkannte Walter Scott, dass es sein geliebter Neffe war. Dellard blieb reglos liegen, den eigenen Dolch im Herzen.
    Sir Walter eilte zu ihm, und gemeinsam kümmerten sie sich um Mary, die zögernd aus ihrer Ohnmacht erwachte. Die Gefahr war jedoch nicht gebannt. Als die Sektierer sahen, dass auch ihr zweites Oberhaupt einen jähen Tod gefunden hatte, schlug ihr anfängliches Entsetzen in blinde Wut um, und Rufe nach Vergeltung wurden laut.
    »Tötet sie! Sie tragen die Schuld an allem!«
    »Sie haben den Fluch über uns gebracht!«
    »Sie dürfen nicht überleben!«
    »Runen und Blut …«
    Von allen Seiten kamen sie heran, zogen den Kreis, den sie um den Opfertisch gebildet hatten, immer enger. Mordlust blitzte durch die starren Sehschlitze ihrer Masken, und unheimliches Gemurmel setzte ein, das wie das Knurren eines archaischen Untiers klang, welches eine tödliche Wunde davongetragen hatte und ein letztes Mal nach Blut lechzte.
    Eng aneinander gedrängt, blickten Quentin, Mary und Sir Walter dem Feind entgegen, der sich von allen Seiten näherte. Dolche und Messer wurden gezückt, und jeder der drei wusste, dass sie keine Schonung zu erwarten hatten.
    Die Mondfinsternis war vorbei. Schon gewann die Himmelsscheibe wieder an Farbe, und die fahle Sichel des Erdtrabanten trat hervor. Das Gewitter war weitergezogen, als hätte es sich nur zu dem einen Zweck entladen, Malcolm of Ruthven in die Schranken seiner sterblichen Existenz zu weisen.
    Die hochfliegenden Pläne der Runenbruderschaft waren gescheitert, aber das letzte Blut war noch nicht geflossen. Die Sektierer wollten, dass jemand bezahlte für das, was sich vor ihren Augen abgespielt hatte und was sie dennoch nicht begreifen
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