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Die Bruderschaft der Runen

Titel: Die Bruderschaft der Runen
Autoren: Michael Peinkofer
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Augenblicken wird sich der Mond verfinstert haben. Dann beginnt mein Zeitalter, Mary of Egton – und das deine endet.«
    »Und das ist gut so, Malcolm of Ruthven«, entgegnete Mary mit eisiger Ruhe, »denn in deinem Zeitalter will ich nicht leben.«
    Gehetzt blickte Quentin hinauf zum Himmel. Malcolm hatte Recht. Der Mond hatte sich inzwischen so dunkel verfärbt, dass er nur noch als blasse Scheibe gegen die Schwärze der Nacht auszumachen war. Die Sterne waren hinter dunklen Wolken verschwunden, und in der Ferne war grollender Donner zu hören, der die Nacht noch düsterer erscheinen ließ. Eisig kalter Wind kam auf und fegte durch den Kreis der Steine. In wenigen Augenblicken würde die Konjunktion vollständig sein …
    Schon hob Malcolm of Ruthven die Klinge und umklammerte sie mit beiden Händen, um sie mit schrecklicher Wucht auf sein wehrloses Opfer herabfahren zu lassen. Seine Anhänger stimmten einen unheimlichen Singsang in einer hässlichen, rohen Sprache an, die Quentin nicht verstand. Sie übertönten damit den Wind und den nahenden Donner.
    »Nein!«, brüllte er, und noch einmal wehrte er sich mit verzweifelter Kraft gegen den Griff seiner Häscher, aber sie packten ihn und schleppten ihn davon, ohne dass er etwas dagegen unternehmen konnte. Sie brachten ihn zurück zu seinem Onkel, dem das Entsetzen ebenfalls ins Gesicht geschrieben war.
    »Nein, Ruthven!«, schrie Walter Scott aus Leibeskräften. »Tun Sie das nicht …«
    Es war wie ein Albtraum.
    Alles schien plötzlich mit zäher Langsamkeit vonstatten zu gehen, und Quentin hatte das Gefühl, seine Umgebung nur noch verschwommen wahrzunehmen. So, als hätte sich sein Bewusstsein eingetrübt, um die schreckliche Wahrheit nicht ertragen, um nicht mit ansehen zu müssen, wie die Runenklinge der Frau, die er liebte, ein grausames Ende bereitete.
    Im Angesicht des Todes hatte Mary ihm ihre Liebe gestanden, die geächtete Liebe einer Adeligen zu einem Bürgerlichen – aber was vermochte sie auszurichten gegen das Unglück, das mit der Gewalt eines Gewittersturms über sie hereinbrach?
    Ein Blick zum Himmel …
    Die Mondfinsternis war vollkommen.
    Von Wolken umhüllt, stand die dunkle Scheibe am Himmel, umzuckt von Blitzen, die aus dem Mantel der Nacht herabstachen.
    Der Augenblick, auf den die Bruderschaft der Runen seit über einem halben Jahrtausend gewartet hatte, war gekommen. Der Gesang der Sektierer schwoll in einem donnernden Crescendo an – und Malcolm of Ruthven handelte.
    Schlagartig war Quentins Wahrnehmung wieder klar, klarer als je zuvor in seinem Leben. Mit kristallener Schärfe sah er den Anführer der Runensekte im Licht der Fackeln stehen, das Schwert hoch erhoben, und für den Bruchteil eines Augenblicks schien die Zeit stillzustehen. Quentin erstarrte – dann sah er mit vor Entsetzen geweiteten Augen, wie Malcolm of Ruthven zum vernichtenden Stoß ausholte.
    In diesem Augenblick geschah etwas Unvorhergesehenes.
    Lauter Donnerschlag krachte und ließ den Kreis der Steine erzittern. Nicht wenige der Sektierer warfen sich erschrocken zu Boden. Im selben Augenblick entlud sich unmittelbar über dem Steinkreis ein Blitz, der gleißend und hell herabfuhr und die Nacht zum Tag machte – und als zöge die Spitze des Runenschwerts ihn auf geheimnisvolle Weise an, entlud sich der Blitz mit furchtbarer Gewalt in die uralte Klinge und erfasste Malcolm of Ruthven mit vernichtender Kraft.
    Der Gesang der Sektierer brach jäh ab. Einen Augenblick lang waren alle geblendet, und der gellende Schrei, der sich Malcolm of Ruthvens Kehle entrang, machte klar, dass das Schicksal einen anderen Lauf genommen hatte. Rote und grüne Lichtstrahlen stachen nach allen Seiten, dann war der Blitz erloschen.
    Malcolm, verbrannt am ganzen Körper, wankte hin und her. Die Maske fiel von seinem Gesicht und enthüllte geschwärzte, entstellte Züge, aus denen weit aufgerissene Augen ungläubig starrten. Sein Mund formte letzte, heisere Worte. »Der Bruce«, murmelte er, »es war der Geist des Bruce …«
    Dann brach er zusammen.
    »Der Fluch! Der Fluch!«, rief einer der Sektierer. »Er hat sich gegen uns gerichtet!«
    Maßloses Entsetzen griff unter den Runenbrüdern um sich, fuhr mit dem eisig kalten Wind durch ihre Reihen und erfüllte ihre Herzen mit panischer Furcht.
    Auch Quentins Bewacher blieben davon nicht verschont. Sie lockerten ihren Griff, und es gelang dem jungen Mann, sich loszureißen. Mit fliegenden Schritten eilte er zu Mary, die reglos
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