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Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8

Titel: Böse Liebe - Ein Alex-Delaware-Roman 8
Autoren: Jonathan Kellerman
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    Es kam in einem gepolsterten braunen Umschlag. Vom Format her hätte es ein Buch sein können, ein wissenschaftlicher Text, den ich irgendwann einmal bestellt und dann vergessen hatte. Der Umschlag wanderte in die Ablage, zusammen mit der übrigen Montagspost, Rechnungen und Seminarankündigungen.
    Ich ging in mein Arbeitszimmer und überlegte, wie ich mit Stefanie und Sandra Wallace, die in zehn Minuten für ihre zweite Sitzung erscheinen würden, verfahren sollte.
    Vor einem Jahr hatte der Vater die Mutter umgebracht. Er stellte es als ein Verbrechen aus Leidenschaft dar, und vielleicht war es das auch, Leidenschaft der übelsten Sorte. Nach der Gerichtsakte zu urteilen hatte es daran nie gemangelt zwischen Annie und Donald Wallace. Sie war keine willensstarke Frau. Auch nach der hässlichen Scheidung »empfand« sie noch etwas für ihn. Es überraschte daher niemanden, dass er sie mit ein paar süßen Worten und der Aussicht auf ein Hummeressen und einen Joint zu einem abendlichen Ausflug in die Wälder überreden konnte.
    Sie hielten auf einem Parkplatz, rauchten Gras, schliefen miteinander, redeten, stritten und prügelten sich. Irgendwann zückte Donald sein Fahrtenmesser, stach dreiunddreißigmal auf sie ein, rollte sie aus seinem Transporter und fuhr davon. Seine unverwechselbare silberne Geldtasche mitsamt seinem Mitgliedsausweis von einem Motorradclub ließ er am Tatort liegen.
    In einem Handel zwischen Verteidigung und Staatsanwaltschaft einigte man sich auf Totschlag und fünf bis zehn Jahre Gefängnis. Dort hing er mit seinen Met brauenden Freunden von der Arischen Bruderschaft herum, nahm an einem Kurs für Automechanik teil, obwohl er der Ausbilder hätte sein können, und sammelte Punkte in guter Führung.
    Nach dem Gesetz konnte er nach vier Monaten beantragen, seine Töchter zu sehen, und das hatte er prompt getan. Stephen Huff - einer der besseren Leute beim Familiengericht - hatte mich um ein Gutachten gebeten. Wir trafen uns in seiner Kanzlei, und er weihte mich in die Einzelheiten ein.
    »Wie stellt er sich die Treffen denn vor, Steve?«
    »Zweimal im Monat, im Gefängnis. Seine Freunde, ein idiotischer Verein namens ›Donald Wallace Verteidigungsfonds, wollen für die Fahrtkosten aufkommen.«
    »Wer weiß, woher das Geld kommt. Wahrscheinlich vom Drogenhandel, wenn es seine Motorradkumpel sind.«
    »Darum geht es jetzt nicht, Alex. Reden Sie mit den armen Würmern, schreiben Sie einen Bericht, dass die Besuche psychischen Schaden anrichten, und wir können die Sache begraben.«
    »Und für wie lange?«
    »Ich kann seinen Antrag für mindestens ein Jahr auf Eis legen.«
    »Und dann, Steve? In einem Jahr sind die beiden gerade mal zehn und elf.«
    Er zupfte an seiner Krawatte. »Was soll ich sagen, Alex? Ich will auch nicht, dass die Kinder versaut werden. Ich bitte Sie um das Gutachten, weil Sie kein Softie sind - für einen Psychologen.«
    »Meinen Sie, jemand anders würde den Besuchen zustimmen?«
    »Möglich. Sie wissen doch, was manche Ihrer Kollegen an Meinungen äußern. Neulich hatte ich einen hier, der mir erzählen wollte, es wäre gut für Kinder, wenn die Mutter depressiv ist, weil sie auf diese Weise wahre Emotionen schätzen lernten.«
    »Okay, ich mache es, wenn Sie mir erlauben, die Sache vernünftig anzugehen. Das Gutachten soll schließlich den Kindern helfen. Ein Fetzen Papier für die Akten nützt ihnen wenig.«
    »Sie meinen, Sie wollen sie in Therapie nehmen? Von mir aus. Sie sind hiermit offiziell eingesetzt. Schicken Sie die Rechnung direkt an mich. Ich sorge dafür, dass sie innerhalb von drei Wochen bezahlt wird.«
    »Von unseren Motorradrittern vielleicht?«
    »Keine Sorge. Sie werden bezahlen, das garantiere ich.«
     
    Die Mädchen kamen pünktlich, genau wie die Woche zuvor. Sie hingen wie Koffer an den Armen ihrer Großmutter.
    »Hier wären wir also«, rief Evelyn Rodriguez. Sie blieb vor der Tür stehen und schob die beiden herein.
    »Guten Morgen«, begrüßte ich sie, »hallo, Kinder.« Stefanie lächelte verlegen. Ihre ältere Schwester schaute weg.
    Evelyn blickte beharrlich an mir vorbei. Der Name Rodriguez stammte von ihrer jetzigen, vierten Ehe. Sie selbst war eine untersetzte, älter wirkende Endfünfzigerin angelsächsischer Herkunft, mit Brille, nikotingegerbter Haut und Lippen so dünn und gerade wie mit dem Skalpell gezogen.
    Sie tätschelte Sandras Kopf. Das Kind drückte sein Gesicht an ihren dicken, weichen Arm. Stefanie war ins Wohnzimmer
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