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Die Braut des Shawnee-Kriegers

Die Braut des Shawnee-Kriegers

Titel: Die Braut des Shawnee-Kriegers
Autoren: Elizabeth Lane
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einmal für nötig gehalten, sich anständig von ihr zu verabschieden!
    Während sie die Feder in ihren Händen anstarrte, begann ihr Körper krampfhaft zu zucken. Ein Schluchzen drang aus ihrer Kehle, vermischt mit bitterem Gelächter. Ihre Schultern bebten, und heiße Tränen strömten ihr übers Gesicht. Sie hatte Wolf Heart gezwungen, seine Wahl zu treffen, und sie hatte ihn verloren. Sie hatte alles verloren.
    Stumm vor Entsetzen wich der Colonel zurück. "Schick nach dem Doktor!" befahl er seiner Frau kopfschüttelnd. "Das Mädchen ist offenbar hysterisch."
     
    Clarissa saß still in ihrem Schaukelstuhl und beobachtete die leuchtend goldenen Ahornblätter, die an ihrem Fenster vorbei zu Boden flatterten. Wie gern wäre sie ein Blatt, um frei dorthin zu fliegen, wohin der Wind sie trieb. Sie würde über das Land fliegen und dann vielleicht auf die glitzernden Wellen eines Bachs niedersinken, um sich von der Strömung mitnehmen zu lassen … immer weiter flussabwärts bis zum mächtigen Ohio. Auf ihm würde sie sich treiben lassen, bis er sie wieder ins Land der Shawnee brachte.
    Doch eine solche Freiheit war ein unerfüllbarer Wunsch. Sie lebte wie eine Gefangene im Haus ihres Bruders, weggeschlossen in diesem kleinen Zimmer im ersten Stock. Die arme Clarissa, die, wenn man dem Klatsch der Nachbarschaft Glauben schenkte, von den Shawnee gefangen genommen worden war und die unaussprechlichsten Misshandlungen ihres Köpers hatte erdulden müssen. Die arme Clarissa, die, wie man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, wohl nie wieder ganz richtig im Kopf werden würde.
    Als sie sich auf ihrem Stuhl bewegte, spürte sie das vertraute Strampeln und Stoßen. Zärtlich legte sie die Hände auf ihren Leib, um das Leben, das darin heranwuchs, zu schützen und zu liebkosen. Die Zeit verging schnell. Höchstens noch drei Monate, rechnete sie, und ihr Baby würde zur Welt kommen. Sie würde sein Kind in den Armen halten, und sie würde es lieben und umsorgen, weil es alles war, was ihr von der Liebe zu Wolf Heart geblieben war.
    Junius war ein ehrenhafter Mann, das zumindest hatte sie bei ihrer Rückkehr nach Baltimore festgestellt. Er hatte sich einverstanden erklärt, sie und ihr Kind zu unterstützen, bis sie sich eines Tages vielleicht wieder verheiratete. Doch dafür hatte er gewisse Bedingungen gestellt: Um der Familie keine Schande zu machen, durfte Clarissa für die Dauer ihrer Schwangerschaft das Haus nicht verlassen. Damit die zusätzlichen Kosten für Unterkunft und Verpflegung gedeckt waren, musste sie die fünfzig Pfund in Gold, die ein Teil ihrer Mitgift waren, an Junius abtreten. Und nach der Entbindung sollte sie den Löwenanteil der Haushaltspflichten übernehmen, da Mrs. Pimm allmählich in die Jahre kam. Das sichere, geborgene Leben, nach dem sie sich in dem Shawnee-Dorf so gesehnt hatte – jetzt hatte sie es.
    Oh, Wolf Heart! Wolf Heart!  
    Clarissa beugte sich vor und schaute hinauf in den herbstlichen Himmel, als könnte sie allein durch ihren Willen das Haus verlassen und an seine Seite eilen. In den ersten Wochen nach ihrer Trennung war sie wütend auf ihn gewesen, doch inzwischen hatte sie ihm seine Täuschung längst vergeben. Sie hatte ihn zu sehr gedrängt, und Wolf Heart hatte schließlich die Entscheidung getroffen, die er für die einzig richtige hielt.
    Sie konnte niemandem einen Vorwurf machen, nur sich selbst.
    Unten von der Straße her drang durch das geschlossene Fenster der Lärm von Kindern, die Fangen spielten. Clarissa stand auf und presste das Gesicht an die kühle Glasscheibe. Sie versuchte sich vorzustellen, wie Wolf Hearts Kind in dieser so genannten zivilisierten Welt aufwachsen würde. So schlecht wird das Leben gar nicht mal sein, versuchte sie sich einzureden. Für Nahrung, Obdach und Kleidung war reichlich gesorgt. Es gab Bücher zum Lesen, Spiele und Konzerte, die man besuchen konnte.
    Wenn ihr Kind ein Junge war, würde Junius vielleicht so großzügig sein, für seine Erziehung aufzukommen, und ihn später sogar ins Geschäft aufnehmen. Wenn es ein Mädchen war, würde es lernen, wie man einen Haushalt führt, und – mit etwas Glück – einen guten Mann heiraten, wenn es erwachsen war.
    Doch Wolf Hearts Sohn würde niemals mit Mokassins an den Füßen durch ein Dickicht kriechen, um ein Reh mit einem einzigen Pfeil zu erlegen. Nie würde er in einen eisigen Fluss tauchen, um sein pa-waw-ka zu erlangen, oder eine Vision suchen, nach der er sein Leben ausrichten
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