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Tochter der Finsternis: Die Chroniken des Magnus Bane (04) (German Edition)

Tochter der Finsternis: Die Chroniken des Magnus Bane (04) (German Edition)

Titel: Tochter der Finsternis: Die Chroniken des Magnus Bane (04) (German Edition)
Autoren: Cassandra Clare
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Cassandra Clare/Sarah Rees Brennan
    Die Chroniken des Magnus Bane
    T OCHTER DER F INSTERNIS
    Aus dem Amerikanischen
von Ulrike Köbele
    1903
    Es dauerte fast zwanzig Minuten, bis Magnus den jungen Mann bemerkte, der gerade dabei war, sämtliche Lichter an einem der Kronleuchter auszuschießen. Der Gerechtigkeit halber sollte allerdings ergänzt werden, dass ihn die restliche Inneneinrichtung erheblich abgelenkt hatte.
    Seit Magnus das letzte Mal in London gewesen war, war beinahe ein Vierteljahrhundert verstrichen. Es hatte ihm gefehlt. Vom New York der Jahrhundertwende ging natürlich eine Energie aus, mit der keine andere Stadt mithalten konnte. Magnus liebte es, in einer Kutsche in die gleißenden Lichter des Longacre Square hinauszuklappern, um dann vor der üppigen, im Stil der Französischen Renaissance gehaltenen Fassade des Olympia Theatre auszusteigen oder dicht an dicht mit Menschen aus einem Dutzend verschiedener Länder am Hot-Dog-Festival im Greenwich Village teilzunehmen. Er genoss die Fahrten mit der Hochbahn samt ihren quietschenden Bremsen und allem, was sonst noch dazugehörte, und konnte es kaum erwarten, durch die weitläufigen unterirdischen Tunnelsysteme zu brausen, die gerade mitten unter dem Herzen der Stadt gebaut wurden. Kurz vor seiner Abreise hatte er die Baustelle des großen Bahnhofs am Columbus Circle gesehen und hoffte sehr, dass das Gebäude endlich fertig sein würde, wenn er zurückkehrte.
    Aber London war London. Es war Schicht um Schicht in seine lange Geschichte gehüllt, wobei jedes neue Zeitalter das vorangegangene umschloss. Magnus hatte seine eigene Vergangenheit mit dieser Stadt. Hier gab es Leute, die er geliebt hatte, und solche, die er gehasst hatte. Eine Frau hatte er sowohl geliebt als auch gehasst – um dieser Erinnerung zu entkommen, war er aus der Stadt geflohen. Manchmal fragte er sich, ob seine Flucht ein Fehler gewesen war, ob er hätte bleiben und leiden, die schlechten Erinnerungen zugunsten der guten erdulden sollen.
    Magnus lümmelte sich in seinen plüschigen Samtsessel – dessen Armlehnen im Laufe der Jahrzehnte von unzähligen Ärmeln abgewetzt worden waren – und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Von englischen Häusern ging eine Sanftheit aus, die Amerika in seiner forschen Jugendlichkeit vermissen ließ. Funkelnde Kronleuchter hingen von der Decke wie Wassertropfen – die natürlich nur aus geschliffenem Glas bestanden, nicht aus Kristall, aber auch so ein hübsches Licht verbreiteten – und elektrische Fackeln säumten die Wände. Magnus fand elektrisches Licht immer noch ziemlich aufregend, auch wenn es nicht annähernd so hell war wie Elbenlicht.
    Die Herren der Oberschicht saßen gruppenweise an Tischen zusammen und spielten Pharo und Pikett. Auf den samtbezogenen Bänken, die entlang der Wände standen, räkelten sich Damen, die sich nicht besser verhielten, als es von ihnen erwartet wurde, in Kleidern, die zu eng und zu bunt waren und auch sonst nicht mit den Attributen geizten, die Magnus an ihnen besonders schätzte. Zu ihnen gesellten sich die Herren, die Erfolg an den Spieltischen gehabt hatten und nun vor Triumphgefühlen und Pfundnoten überquollen; diejenigen, denen das Glück nicht so hold gewesen war, schlüpften an der Tür in ihre Mäntel und schlichen einsam und um ein Vermögen erleichtert in die Nacht hinaus.
    Das alles war außerordentlich dramatisch, und das gefiel Magnus. Auch nach all der Zeit hatte er sich am Prunk der gewöhnlichen Leute in ihrem gewöhnlichen Leben nicht sattgesehen – noch lange nicht. Da war es auch egal, dass die Leute unterm Strich alle gleich waren.
    Ein lauter Knall riss Magnus aus seinen Gedanken. Mitten im Raum stand ein junger Mann umgeben von Glassplittern. In der Hand hielt er eine gespannte Silberpistole; offenbar hatte er dem Kronleuchter gerade einen Arm abgeschossen.
    Magnus überkam ein heftiges Déjà-vu, wie die Franzosen es nannten: Ein Gefühl, das alles schon einmal gesehen zu haben. Natürlich war er zuvor bereits in London gewesen, das letzte Mal eben vor fünfundzwanzig Jahren.
    Es war das Gesicht des Jungen, das diese plötzliche Erinnerung ausgelöst hatte. Es war ein Gesicht aus der Vergangenheit, eines der schönsten Gesichter, die Magnus je gesehen hatte. Seine filigranen Konturen standen in krassem Gegensatz zu der Schäbigkeit dieses Etablissements – seine strahlende Schönheit ließ selbst den Glanz der elektrischen Lichter fahl und funzlig wirken. Die Haut des
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