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Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)

Titel: Die Alchemie der Nacht: Roman (German Edition)
Autoren: Heike Koschyk
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|11| JENA IM JANUAR 1780
     
    Leiser Gesang drang an ihr Ohr, eine sich wiederholende Melodie, die anschwoll, sich verdichtete.
    Eine Weile lag sie mit geschlossenen Augen und fühlte, wie die Betäubung langsam aus Geist und Körper wich, spürte den bitteren, Übelkeit erregenden Geschmack, der ihr bereits vertraut war, den brennenden Schmerz, der durch ihren Körper zog.
    Anfangs hatte sie sich gefürchtet, wenn man sie ins Laboratorium rief, doch irgendwann gewöhnte sie sich daran. Ebenso wie an die Anfälle von Schwindel, die sie seitdem immer öfter überkamen, an das Pochen in Armen und Handgelenken, den Schmerz, der oft tagelang anhielt.
    Dieses Mal aber war irgendetwas anders, wenngleich sie nicht sagen konnte, woran sie es festmachen sollte. Etwas hatte sie vorhin aus der Betäubung geweckt, eine heftige, stoßende Bewegung, eine neue Qual. Doch nun schien sie allein.
    Irritiert sog sie die Luft ein. Es roch nach Säure, wie sonst auch, vermischt mit einem rauchigen, tannig-süßen Duft, der meist noch lange nach dem Erwachen in unsichtbaren Schwaden durch den dunklen Raum zog.
    Es war immer derselbe Student gewesen, der ihr den betäubenden Trank eingeflößt hatte, so auch dieses Mal. Das sei notwendig, zur Wahrung eines der größten Geheimnisse der Wissenschaft, hatte er gesagt und dabei gelächelt. Aber das war ihr gleich, sie wollte gar nichts davon wissen. Wichtig war nur die Aufmerksamkeit, mit der ihr Vater sie bedachte, wenn sie ihm das Geld hinzählte.
    Während die Schwere ihrer Augenlider langsam nachließ, wünschte sie sich die Zeit zurück, von der ihre Mutter immer |12| erzählte. Eine Zeit weit vor ihrer Geburt, die wundervoll gewesen sein musste, in der ihre Familie stets eine üppig gefüllte Geldtasche und einen reich gedeckten Tisch hatte. Damals, so seufzte Mutter immer, wenn sich wieder ein Student abmeldete, hätten sich die Jenaer Burschen darum gerissen, ein Zimmer in ihrem Haus zu bekommen. Sie hätten sogar zu dritt in einem Bett geschlafen, auf engstem Raum, und ein kleines Vermögen dafür bezahlt. Damals, bevor man den Großprior Johnssen als Hochstapler in der Wartburg einkerkerte und Ehrenbürger wie auch Studenten die Stadt in Scharen verließen, um den Untersuchungen der Behörden aus dem Weg zu gehen.
    Ein plötzliches Knarren riss sie aus ihren Gedanken, der Gesang wurde lauter und nahm mit dem Geräusch der zufallenden Tür wieder ab. Sie vernahm leise Schritte, ein Rascheln von Stoff, ein Atmen, das sich stetig beschleunigte.
    Jemand beobachtet mich, dachte sie plötzlich. Sie versuchte, die Augen zu öffnen, doch es wollte ihr noch nicht gelingen. Nur mit größter Anstrengung konnte sie das ungute Gefühl niederringen, das sich in ihr regte. Sie verabscheute diesen Zustand, in dem sie noch keine Kontrolle über ihren Körper hatte, hatte ihn immer nur widerwillig ertragen. Doch noch nie war jemand im selben Raum gewesen, während sie erwacht war, noch nie hatte der Gesang diese Intensität erreicht.
    Ein furchtbares Bild schlich sich in ihre Gedanken, sie sah einen Mann mit blutverschmierten Händen und ebensolcher Schürze, sich windende Leiber in orgastischem Rausch. Sie dachte, den Namen Johnssen gehört zu haben, ehrfürchtig geflüstert. Woher kam diese Erinnerung, war sie nur ein Traum gewesen oder gar Wirklichkeit?
    Das Gefühl der Bedrohung nahm zu. Nun wurde auch das fremde Atmen lauter, es kam näher.
    Bodenlose Angst stieg in ihr empor und versetzte ihren Körper in Aufruhr. Dann, endlich, ließ das taube Gefühl nach, erst in den Beinen, dann in Händen und Rumpf. Sie vermochte die Lider zu heben und erkannte im Halbdunkel zwei Augen, die sie überrascht anstarrten.
    |13| Er war halb entkleidet, das offene Hemd entblößte eine sehnige, nur wenig behaarte Brust, die Hose hing auf Höhe der Knie, das Geschlecht war deutlich erregt. Als sie an sich hinuntersah, fand sie ihr Kleid weit geöffnet. Mit fahrigen Händen versuchte sie, es zu schließen, sofort sprang er vor, um sie daran zu hindern. Sie schlug um sich und traf ihn am Kopf. Er fluchte leise, packte sie bei den Handgelenken und drückte dort zu, wo man sie frisch verbunden hatte, bis das Blut den Verband durchtränkte und sie begann, um Gnade zu wimmern.
    »Still! Alles ist gut«, zischte er. »Wenn du dich ruhig verhältst, wird dir nichts geschehen.« Mit diesen Worten setzte er sich zu ihr und beugte sich herab. Sein Atem streifte ihre Wange, kam näher, bis zu den Lippen. Ihre Übelkeit nahm
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