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Die Blutgabe - Roman

Die Blutgabe - Roman

Titel: Die Blutgabe - Roman
Autoren: Franka Rubus
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unter ihm quietschten, als sie sich aneinanderrieben, und er spürte die Flüssigkeit darin hin und her schwappen. Red presste die Hände gegen die Seitenwände, spannte alle Muskeln an und bemühte sich, sein Gewicht möglichst gleichmäßig zu verteilen. Er mochte sich kaum vorstellen, was geschehen würde, wenn die Beutel unter seinem Gewicht platzten und das Blut herausliefe.
    Doch der Kunststoff hielt stand. Zumindest für den Moment.
    Dann plötzlich – viel früher, als er erwartet hatte – hörte das Schwanken auf: Der, der die Kiste schob, war stehen geblieben. Red stockte der Atem. War er entdeckt worden? Er wünschte sich nun verzweifelt, er könnte irgendwie an die Relacinbonbons in seiner Hosentasche gelangen.
    »Verdammt, ich kann nicht mehr«, hörte er eine Männerstimme sagen. »Eine verflixte Kiste ist schwerer als die andere.«
    »Wir haben’s ja gleich«, antwortete eine zweite Stimme. »Denk immer nur an das Lohnessen.«
    Der erste Sprecher knurrte.
    »Red December 36.12. Red May 31.04. Bitte nicht stehen bleiben«, erklang in diesem Moment eine dritte Stimme. Reds Herz machte einen erschrockenen Satz. Der Aufseher! »Immer weitergehen, wir sind bald fertig.«
    Das Schaukeln setzte wieder ein, heftiger diesmal, und begleitet von einem weiteren Knurren. Red wagte, vorsichtig aufzuatmen. Dann aber erschütterte ein erneuter Rucksein Gefängnis – und mit Entsetzen spürte Red, wie unter ihm die Blutbeutel nachgaben. Er sackte ein Stück tiefer, und einer der Beutel platzte mit einem dumpfen Ploppgeräusch. Warme Feuchtigkeit bespritzte Reds Gesicht und durchtränkte seine Kleider. Kurz darauf ertönte noch einmal das Klacken der Karabinerhaken.
    Dann war alles wieder still.
    Noch immer wagte Red nicht, sich zu rühren. Er hatte keine Ahnung, ob die Kiste dicht halten würde oder ob das Blut längst aus den Ritzen nach draußen rann. Er hörte die Arbeiter rumoren. Ängstlich lauschte er auf das Poltern, mit dem die Kisten aufeinandergestellt wurden. Was, wenn er sich verzählt hatte? Wenn seine Kiste nicht ganz oben stand? Dann würde er hier drin ersticken. Schon jetzt war kaum noch Sauerstoff in seinem Gefängnis, und am liebsten wäre er augenblicklich nach draußen gestürzt. Aber es gab kein Zurück.
    Red schloss die Augen und dachte an Blues Gesicht. An ihren Körper. Ihre Stimme. An das Versprechen, das er ihr gegeben hatte. Er würde sie nicht dort draußen alleinlassen. Sie brauchte ihn. Bald würde er sie wiedersehen. Der Gedanke machte es ihm erträglicher, zu bleiben, wo er war.
    Endlich hörte er, wie sich die Tür des Transporters mit einem Krachen schloss. Der Motor begann zu grollen. Weitere Blutbeutel zerplatzten unter Reds Gewicht, als der Wagen anfuhr. Und in diesem Moment spürte er ein völlig irrationales Gefühl in sich aufsteigen:
    Freude.
    Er war auf dem Weg.
    Auf dem Weg in das, was Blue »Freiheit« genannt hatte.
    Auf dem Weg zu ihr.
     
    Red wartete, bis die Luft in der Kiste so knapp wurde, dass er es nicht mehr aushielt. Dann hob er behutsam den Deckel an.
    Im Inneren des Transporters war es stockfinster. Red schob sich ein Relacinbonbon in den Mund und versuchte, sich zu orientieren, indem er sich die Anordnungen für Transporterbeladung ins Gedächtnis rief. Vier Kistenstapel standen auf jeder Seite der Ladefläche. Dazwischen blieb ein schmaler Gang frei. Als Red seinen Arm nach links ausstreckte, ertastete er eine Metallwand, ebenso hinter sich. Rechts von sich spürte er den glatten Kunststoff eines weiteren Kistendeckels. Er befand sich also ganz hinten links. Bis zum Boden mochten es etwa zweieinhalb Meter sein. Die Stapel würden ihm als Wände dienen, zwischen denen er sich abstützen konnte – so war zumindest der Plan. Mit ein bisschen Vorsicht konnte er vermutlich hinunterklettern und zur Tür gelangen, ohne zu viel Lärm dabei zu machen. Und dann würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als noch während der Fahrt aus dem Transporter zu springen. Red fühlte sich nicht richtig wohl bei diesem Gedanken. Wenn der Transporter doch bloß ein Fenster gehabt hätte, damit er sehen konnte, wie nah sie dem Lichtermeer am Horizont schon gekommen waren! Aber das wäre des Glücks wohl zu viel gewesen.
    Langsam schob er den Deckel so weit zurück, dass er sich auf die Knie aufrichten konnte. Dann kroch er mit winzigen Schritten auf die Kiste neben ihm und noch ein Stück weiter, bis er die Kante erreichte. Als seine Hand ins Leere griff, hielt er inne.
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