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Und morgen seid ihr tot

Und morgen seid ihr tot

Titel: Und morgen seid ihr tot
Autoren: Daniela Widmer; David Och
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DIE ENTFÜHRUNG
    1.   JULI 2011
     
     
    Aus dem Autoradio ertönt Jack Johnson, ich singe laut mit. David dreht die Augen gen Himmel, weil er meinen Gesang inzwischen nur mit Mühe erträgt. Wie immer ist er ganz aufs Fahren konzentriert, kontrolliert Ölstand, Kühlertemperatur und die Tanknadel.
    David hat bisher genau so zuverlässig gearbeitet wie der Dieselmotor, der unter unserer Kabine nagelt. Nichts konnte ihn in den letzten zwei Monaten erschüttern, weder die Stürme, die mich nachts aus der Koje warfen, noch der Mob, der auf der Schnellstraße plötzlich unseren Bus einkeilte. Aber die vielen Magenverstimmungen haben David ausgezehrt, auch er will wieder in unserem Bett schlafen, duschen, Greyerzer Käse essen … Außerdem will er, seit er einen mysteriösen Ausschlag am Bein hat, unseren Hautarzt konsultieren. In drei Wochen möchten wir zu Hause in der Schweiz sein. Spätestens zum Nationalfeiertag am 1.   August. Wir wollen kein Risiko eingehen und haben für die Rückfahrt eine Route gewählt, die uns erfahrene Individualreisende und Einheimische empfohlen haben: über Loralai nach Quetta. Hier soll die politische Lage entspannt sein, die Orte sehenswert.
    Jack Johnson, der von seinem Leben als Wellenreiter singt, vom kühlen Wasser des Pazifiks, schafft einen kuriosen Kontrast zur Wüstenlandschaft, die an unserem zum Wohnmobil umgebauten LT 35 vorbeizieht. Wir sind in Belutschistan, karges Geröll, Hügel, die wie Abraumhalden wirken. Ab und zu ein Baum, manchmal Kamele. Belutschistan ist die größte Provinz Pakistans, und die am dünnsten besiedelte. Aber wer in den Iran will, muss sie zwangsläufig durchqueren.
    An einem großflächigen Parkplatz, den eine einzige Zapfsäule als Tankstelle kenntlich macht, steht ein Lkw. Als wir ihn passieren wollen, springen plötzlich Menschen vom Anhänger. Etwa dreißig Männer laufen auf die Straße, umringen unseren Bus und schreien: »Thank you for coming to Pakistan!« – »Give us all a chance!«
    Immer wieder sind wir erstaunt über die herzliche, offene Art der Pakistani. Über die kleinsten Geschenke freuen sie sich. Für die Kinder ist schon ein Filzstift ein kleiner Schatz. Trotzdem muss man in diesem Land auf der Hut sein. Wir haben von Gefechten zwischen Freischärlern und der pakistanischen Armee gehört, hin und wieder soll es Überfälle auf Touristen geben. Deshalb haben wir alles getan, was die Sicherheitsbehörden raten: Wir haben unsere Durchfahrt genehmigen lassen, Formulare für unsere genaue Route ausgefüllt und Geleitschutz angefordert. Vor uns fährt die pakistanische Polizei, ein Jeep mit vier bewaffneten Männern, der jetzt wartet, bis wir uns aus dem Pulk befreit haben.
    Wir kommen nach Loralai, eine Ansammlung niedriger, sandfarbener Häuser. Auf der Straße wimmelt es von Fußgängern, Fahrrädern, Handkarren, Eseln und Ziegen. Unsere Eskorte bahnt uns im Schritttempo eine Gasse durch den Markt.
    Am Ortsausgang sehe ich einen Stand mit Obst, ich tippe David auf den Arm, und er hält. Wir kaufen vier große Mangos, die uns so manches Mal über die Sehnsucht nach Vollkornbrot und Wein hinweggetröstet haben. Die Polizisten bleiben in ihrem Wagen und beobachten uns geduldig.
    Wir setzen unsere Fahrt fort. Als wir die letzten Häuser passiert haben, bremst der Jeep plötzlich ab und bleibt am Straßenrand stehen. David und ich schauen uns an. Was ist nun? Schon wieder eine Panne? So wie beim Start vor drei Stunden? Der Motor sprang nicht an, und wir mussten den Geländewagen gemeinsam anschieben.
    Doch nichts geschieht. Wir schauen in die Führerkabine des Jeeps, auf Englisch fragt David den Commander durchs offene Seitenfenster: »Sollen wir weiterfahren?«
    Der Commander nickt.
    »Alleine?«, fragt David.
    »Nein, die Ablösung ist verständigt. Sie wartet am nächsten Kontrollpunkt.«
    »Wo ist der Kontrollpunkt?«, fragt David.
    Der Commander zeigt nach vorne. »Ein Kilometer.« Er tippt an sein Käppi und verabschiedet sich. Der Wagen wendet, eine große, helle Staubwolke schluckt ihn. Diese fliegenden Wechsel haben wir schon mehrmals erlebt.
    Die Landschaft wird freundlicher. Felder in zartem Grün, Bäume mit majestätischen Kronen, hin und wieder eine Hütte. Ich habe meine Mango gegessen, der Saft klebt an meinen Fingern. »Kannst du mal irgendwo anhalten?«, frage ich David.
    »Schon wieder? Wozu denn?«
    Ich zeige ihm meine Hände, aber David scheint mich nicht zu hören.
    »Mich macht das klebrige Zeug verrückt bei
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