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Die Blutgabe - Roman

Die Blutgabe - Roman

Titel: Die Blutgabe - Roman
Autoren: Franka Rubus
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Schmerz schoss durch seine verwundete Schulter. Aber er hielt sich fest und kletterte weiter, den Blick immer auf das erleuchtete Rechteck über ihm gerichtet. Unter sich hörte er, wie Hannah ihm folgte. Der Gedanke, dass sie ihn notfalls vor einem Sturz bewahren würde, tröstete ihn ein wenig.
    Und dann endlich war er oben, kroch auf allen Vieren ausdem Loch heraus, bevor er platt mit dem Bauch auf den Boden fiel und einfach liegen blieb.
    Kerzenlicht erhellte den Raum. Die Fliesen, auf denen er lag, waren trocken und sauber. Durch ein Bogenfenster blinzelte der Mond.
    Mit einem tiefen Seufzen streckte Red alle Viere von sich. Er hatte es geschafft.
    Er war geflohen.
    Und er war in Sicherheit.
    Mit einem leichtfüßigen Sprung kam Hannah aus dem Loch und hockte sich neben ihn.
    »Hey.« Sie stieß ihn mit einem spitzen Finger in die Seite. »Du kannst jetzt nicht schlappmachen. Hoch mit dir, Céleste wartet.«
    »Wer ist denn nun Céleste?«, nuschelte Red, ohne sich zu rühren. Er hatte nicht das Gefühl, aufstehen zu können, selbst wenn er es gewollt hätte.
    Hannah seufzte. »Die Chefin.« Ihre Stimme klang ungeduldig. »Sie erwartet dich. Also krieg jetzt gefälligst deinen Arsch hoch.«
    Ohne noch eine Antwort abzuwarten, packte sie ihn beim Kragen und zerrte ihn mit einem Ruck in die Höhe. Red stöhnte auf, als seine Knochen gegen die grobe Behandlung protestierten. Aber Hannah interessierte das nicht im Geringsten. Wie schon Stunden zuvor schlossen sich die Eisenklammern ihrer Finger um sein Handgelenk.
    »Nur noch ein paar Treppen.« Ganz plötzlich klang ihre Stimme wieder fürsorglich. »Dann hast du’s hinter dir.«
    Red wagte nicht einmal mehr, zu seufzen. Er wollte nicht zu Céleste. Er wollte nur zu Blue und sich neben ihr in ein Bett legen. Aber wenn diese Céleste die Anführerin der
Bloodstalkers
war, führte der Weg dorthin offenbar nur an ihr vorbei. Er musste sie überzeugen, ihn in die Organisation aufzunehmen. Aber sie würde ihn schon nicht wegschicken, versuchte Red sich selbst zu beruhigen. Schließlich erwarteten sie ihn, wie Hannah sagte.
    Ohne weiteren Widerstand ließ er zu, dass das Vampirmädchen ihn hinter sich herzog.
    Doch als sie durch die Tür auf den Gang traten, vergaß Red vor Staunen auf einen Schlag alle Schmerzen und Erschöpfung. Mit offenem Mund blieb er stehen.
    Weiß verputzte Wände schwangen sich von eleganten Bögen getragen zu einer hohen Decke hinauf. Zu beiden Seiten flackerten unzählige Kerzen und tauchten den Flur in ein unstetes Licht voller bizarrer, zuckender Schatten. Der Boden war mit weißen und schwarzen Kacheln ausgelegt, in denen sich die Flammen spiegelten. Und leise, wie aus weiter Ferne, hingen die Töne eines Liedes in der Luft. Ein Lied, das so traurig war, dass Red plötzlich Tränen in seinen Augen brennen fühlte.
    Hannah war ebenfalls stehen geblieben und lauschte. »Das ist Célestes Musik.« Ihre Augen glitzerten. »Schön, oder?«
    Red wurde die Kehle eng, und er konnte nur nicken. In seinem ganzen Leben, das wusste er sicher, hatte er noch nie etwas Schöneres gehört. Das Lied weckte eine Sehnsucht in ihm, die ihm zugleich vertraut und fremd erschien. Es rief und lockte und verwirrte ihn, zog ihn mit einer unwiderstehlichen Macht vorwärts, während er gleichzeitig nichts lieber getan hätte, als bis ans Ende seines Lebens an diesem Fleck zu stehen und zu lauschen.
    Er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, als der Druck von Hannahs Fingern ihn in die Wirklichkeit zurückholte.
    »Na komm. Du wirst das schon noch oft genug zu hören kriegen. Da, sie ist sowieso fertig.«
    Red starrte sie benommen an, ohne ihren Worten recht folgen zu können. Fertig? Er lauschte. O ja … die Musik war verstummt. Red fröstelte. Plötzlich war ihm kalt.
    Während er sich einmal mehr von Hannah führen ließ, hatte er das Gefühl, gerade aus einem wirren Traum aufgewacht zu sein. Er fühlte sich seltsam leer, wie ausgebrannt. Mehr als einmal ertappte er sich dabei, wie er versuchte, sich an die Melodie des Liedes zu erinnern. Aber es gelang ihm nicht. Nur die Sehnsucht, die er bei ihrem Klang gespürt hatte, war noch da. So deutlich, dass es schmerzte. So deutlich, dass alle anderen Schmerzen davon völlig ausgelöscht wurden.
    Red folgte Hannah bis zum Ende des Flurs, wo sie eine Tür aus dunklem Holz öffnete.
    Eine weitläufige Halle lag vor ihnen. In ihrer Mitte schwang sich eine breite Treppe nach oben und führte auf eine Galerie hinauf.
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