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Schandtat

Titel: Schandtat
Autoren: PeP eBooks
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EINS
    Wenn ich gewusst hätte, dass ich mit sechzehn in Benders Hollow in Kalifornien landen würde, hätte ich alle Beschwerden über mein bisheriges Leben für einen Busfahrschein nach weit weg von dort eingetauscht. Ist aber zu spät. Ich sitze jetzt hier fest, für ein ganzes Jahr. Danach verschwinde ich sofort wieder, zurück nach Los Angeles - auf mich allein gestellt.
    Vor vier Minuten bin ich mit einem Greyhound-Bus in Benders Hollow angekommen, weil meine Mom, Dr. Nancy M. Holly, beschlossen hat, dass ihr »Lebensplan« nicht länger vorsieht, eine Mom zu sein. Als ich in den Bus hierher stieg, stieg sie in einen gecharterten Privatjet, um in irgendeinem südamerikanischen Dschungeldorf sogenannten »Weltbürgern« dabei zu helfen, Geschwüre aufzustechen und eiternde Affenbisse zu desinfizieren. Alles nur, damit sie zurückkommen und ihren Ärztefreunden erzählen kann, wie sie den unterprivilegierten Arbeitssklaven geholfen hat, auf die sie im Grunde doch nur von hoch oben herabblickt.
    Nicht, dass ich mich beschwere. Mittlerweile ist es mir sowieso egal, ob ich sie erst dann wiedersehe, wenn ich von einem Affen gebissen werde. Ich stehe ihrem Leben im Weg, und zusammen sind wir wie Schießpulver und Blitz. Zuerst waren es zwei Wochen in Syrien, um Flüchtlingen zu helfen. Dafür hat sie meinen Abschluss der siebten Klasse verpasst.
Dann war es ein Monat in Afrika. Streicht für diesen Trip meinen fünfzehnten Geburtstag, aber fügt einen pinken Iro hinzu, der sie bei ihrer Rückkehr leuchtend begrüßte. Manchmal schmeckt Rache richtig süß, und von da an weigerte sie sich, mich zu irgendeinem ihrer »Empfänge« mitzunehmen - es geht schließlich nicht darum, wer man ist, sondern darum, wie man aussieht, und solange ich nicht normal aussah, gehörte ich eben auch nicht dazu. So ein Mist, keine Riesengarnelen-Cocktails mehr oder irgendwelche alten perversen Ärzte, die meinen Arsch angaffen.
    Jetzt ist es ein Jahr in Südamerika. Ich weiß noch nicht einmal, in welchem Land. Ich habe nicht gefragt.
    Nicht, dass ihre Abwesenheit einen so großen Unterschied machen würde, denn selbst wenn sie hier ist, ist sie nicht da. Aber was soll’s. Meine Mom rettet die Welt eben eine Person nach der anderen, wie sie so gern sagt. Ich frage sie dann immer, wie es sich anfühlt, zu glauben, man sei Gott. Sie verdreht nur die Augen und geht weg.
    Tja, ich hab einfach ganz schlechte Karten, und das weiß ich auch. Ich armes, unzufriedenes Geschöpf. Wir sind reich. Ich bin aufgrund meiner Unfähigkeit, idiotische Regeln zu befolgen, schon dreimal still und leise von irgendeiner elitären Privatschule »transferiert« worden. Meine letzte Schultherapeutin hat mich gefragt, wie ich mich denn um Himmels willen über ein so großartiges Leben und eine so wunderbare Mutter beklagen könne. Ja, genau, alle lieben sie, und sie liebt es, von allen geliebt zu werden. Und bei so einer lahmen und dummen Frage fing ich auch noch an zu heulen, bevor ich deswegen sauer werden konnte. Meine Mom interessiert sich mehr für Fremde als für mich.

    Sie rettet Leben, und das ist gut, und ich liebe sie, weil sie nicht immer so egoistisch und selbstsüchtig ist, wie es den Anschein hat, aber das hört spätestens bei der einen Sache auf, die ihr noch wichtiger ist als das Ansehen. Geld. Ich habe sie einmal gefragt, wie viele Familien wohl schon pleitegegangen sind, während sie ihnen das Leben rettete, und sie hat eine Woche lang nicht mehr mit mir gesprochen.
    Wie dem auch sei, jetzt arbeitet sie als Chirurgin in den entlegensten Teilen eines Dschungels, weit weg von ihrer Tochter, und ich bin in Benders Hollow, um zum ersten Mal meinem Vater zu begegnen, weil sie mir nicht erlauben wollte, allein zu Hause zu bleiben. Als hätte ich mich nicht um mich selbst gekümmert, seit ich zehn bin, und als hätte er sich jemals um mich gekümmert. Ich kann jederzeit den Lieferservice anrufen. Ich weiß, wie man einen Toaster bedient. Wo ist das Problem? Wenn sie tatsächlich mal in der Stadt lebt, ist es doch auch nicht anders.
    Meine Mom erzählt mir ständig, ich sei verwöhnt. Ein reiches Kind, das im Geist eines nicht-reichen Kindes feststeckt. Das sagt sie, weil ich so allergisch auf ihren Perfektionismus reagiere. Aber es stimmt nicht. Ich passe einfach nirgendwo in ihr Leben, und wenn ich die Verlegenheit in ihrem Gesicht sehe und die Art, wie sie ins Stocken gerät und den Blick abwendet, wenn sie mich ihren »Kollegen« vorstellt, möchte
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