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Chalions Fluch

Chalions Fluch

Titel: Chalions Fluch
Autoren: Lois McMaster Bujold
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    C
    azaril hörte die Reiter, bevor er sie sah. Er blickte über die Schulter. Der ausgetretene Weg hinter ihm wand sich über die Flanke einer gerundeten Anhöhe, die auf diesen windigen Hochebenen schon als Hügel galt. Dahinter sank die Straße wieder auf die karge Ebene Baocias hinab, die nun, im späten Winter, eine Schlammlandschaft bildete. Zu Cazarils Füßen plätscherte ein schmales Rinnsal grünlichen Wassers über den Weg. Es sickerte von den höher gelegenen Schafsweiden herab, war aber zu klein und unbeständig, als dass es den Bau einer Brücke gerechtfertigt hätte. Der Hufschlag, das Klirren von Rüstungen, klingende Glöckchen, knarrende Riemen und die Geräusche sorgloser Stimmen klangen lebhaft an Cazarils Ohr – zu laut, als dass sie von einem Bauern und seinem Gespann oder Fuhrleuten herrühren konnten, die ihre Maultiere trieben.
    Dann kam die Reiterschar auch schon um die Flanke der Anhöhe herum, in Zweierreihe und im vollen Prunk ihres Ordens, mehrere Dutzend Mann. Cazaril atmete auf: Es waren keine Räuber; aber denen hätte er ohnehin nichts zu bieten gehabt. Cazaril trat ein Stück von der Straße weg, um zu beobachten, wie die Schar vorüberritt.
    Die Kettenhemden der Reiter waren versilbert und schimmerten im dunstigen Morgenlicht – für das Auge bestimmt, nicht zum Gebrauch. Ihre blauen Wappenröcke waren von einheitlicher Färbung und zeigten in Weiß das Symbol der Frühlingsherrin. Die grauen Mäntel, die an den Schultern von schimmernden silbernen Broschen gehalten wurden, waren geöffnet und flatterten wie Banner hinter den Reitern her. Die Ordensritter waren für die Parade herausgeputzt, nicht zum Kampf gerüstet. Bestimmt hatten sie kein Interesse, ihre schmucke Kleindung mit Cazarils Blut zu besudeln.
    Zu Cazarils Erstaunen hob der Hauptmann die Hand, als die Reiter sich ihm näherten. In einem wilden Durcheinander kam die Kolonne zum Stehen; die platschenden und saugenden Hufgeräusche verstummten.
    »He, du alter Landstreicher«, rief der Anführer des Trupps über den Sattelbaum des Bannerträgers hinweg Cazaril zu.
    Der stand allein auf der Straße und konnte kaum das Verlangen bezwingen, den Kopf zu drehen, um festzustellen, wer mit dem »Landstreicher« gemeint war. Sie hielten ihn für einen einheimischen Bauerntrampel, unterwegs zum Markt oder irgendeiner anderen Besorgung. Und so sah er wohl auch aus: abgetragene, schlammverkrustete Stiefel; dicke, schlecht sitzende Kleidung, die den eisigen Südostwind nur mit Mühe abhielt. Aber was machte das schon. Cazaril dankte sämtlichen Göttern des Jahreslaufs für jeden schäbigen Faden Stoff! Sein Kinn juckte unter dem zwei Wochen alten Bart. In der Tat, er sah wie ein Landstreicher aus … doch der Hauptmann hätte mit einiger Berechtigung auch verächtlichere Bezeichnungen bemühen können. Aber alt?
    Der Offizier streckte den Arm aus und wies den Weg entlang zu einer Kreuzung. »Ist das da hinten die Straße nach Valenda?«
    Cazaril musste in Gedanken die Jahre abzählen. Das Ergebnis bestürzte ihn: Es war siebzehn Jahre her, seit er diese Straße das letzte Mal geritten war, nicht unterwegs zu einer Parade, sondern in einen Krieg im Heerbann des Herzogs von Baocia. Und obwohl er enttäuscht gewesen war, nur einen Wallach zu reiten und keinen edlen Hengst, war er doch ebenso herausgeputzt und jung und überheblich gewesen, ebenso stolz auf seine Aufmachung wie diese hübschen jungen Welpen, die nun von oben herab auf ihn starrten. Heute wäre ich schon mit einem Esel zufrieden, auch wenn ich die Knie anziehen müsste, um nicht mit den Zehen durch den Schlamm zu schleifen. Cazaril lächelte zu den Ordensrittern hinauf. Er wusste nur zu gut Bescheid über die Geldbörsen, die gähnend leer und ausgeweidet hinter den meisten dieser reich anmutenden Fassaden schlummerten.
    Die Männer musterten ihn so hochnäsig, als könnten sie ihn vom Pferderücken aus riechen. Es ging ihnen nicht darum, Cazaril zu beeindrucken – schließlich war er kein mächtiger oder edler Herr –, doch er bot den jungen Schnöseln einen willkommenen Anlass, ihre aristokratische Arroganz zu üben. Sie missdeuteten Cazarils Blicke als Bewunderung oder hielten ihn einfach nur für einen Bauerntrampel.
    Cazaril seinerseits widerstand der Versuchung, die Burschen in die Irre zu schicken – in irgendeinen Schafstall oder wohin diese täuschend breit wirkende Querstraße führen mochte: Einen solchen Streich sollte man den Streitern der
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