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Die Blueten der Freiheit

Die Blueten der Freiheit

Titel: Die Blueten der Freiheit
Autoren: Iris Anthony
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losgebrüllt und ihnen allen mit meinem Besen auf den Kopf geschlagen hätte.
    Ich wandte mich vom Fluss ab, tupfte mir mit dem Saum meiner Schürze die Tränen aus den Augen und schluckte den Rest hinunter. Es war zu spät, um etwas zu bereuen, und Tränen halfen mir nun auch nicht weiter.

Kapitel 3
    Denis Boulanger
    An der Grenze zwischen Frankreich und Flandern
    I ch weiß gar nicht, warum ich mir überhaupt darüber Gedanken mache.«
    Hatte mir der Leutnant eine Frage gestellt? Erwartete er eine Antwort? Bei ihm konnte man sich nie sicher sein. Außerdem schien die Sonne erst seit kurzer Zeit bei dem einzigen Fenster herein, das es in der Baracke gab. Es war schwer, den Leutnant zufriedenzustellen, bevor er gefrühstückt hatte.
    »Du weißt doch, was deine Aufgabe hier ist.«
    Eine weitere Feststellung, die genauso gut eine Frage hätte sein können. Also musste ich wohl darauf antworten. » Oui, Leutnant.« Meine Aufgabe war es, die Douaniers bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Ich half ihnen dabei, die Grenze zu den Spanischen Niederlanden zu bewachen und Steuern für die Einführung von Waren einzutreiben.
    Er sah mich über seine lange, krumme Nase hinweg an. »Und warum erledigst du sie dann nicht?«
    Ah. Das war nun also eine Frage gewesen. Eine richtige Frage. Aber es war eine Frage, die ich nicht verstand. »Das tue ich … ich meine … ich dachte …«
    »Weißt du, wer hier die Grenze überquert? An jedem einzelnen Tag?«
    » Oui, Leutnant.« Das tat ich. Menschen. Und manchmal auch Tiere. Und Karren.
    »Hunderte Menschen überqueren jeden Tag diese Grenze.«
    Er hob die Hände und fuchtelte damit herum, so dass die Spitzenmanschetten, die wie Spinnweben von seinen Handgelenken baumelten, vor meinen Augen umherflatterten.
    »Und weißt du, was sie bei sich haben?«
    Das war eine Frage, die sich eigentlich nicht wie eine Frage anhörte, und er schien auch nicht wirklich eine Antwort darauf zu erwarten. Also hielt ich den Mund. Das war am einfachsten. Wie sehr wünschte ich mir, dass er aufhören würde zu reden, damit ich aufhören konnte, vor ihm zu salutieren.
    »Die Menschen, die diese Grenze überqueren, sind Lügner, Betrüger und Diebe. Jeder einzelne von ihnen.«
    Jeder einzelne? Das konnte ich schwer glauben. Auch die alte Großmutter, der ich vor einigen Tagen meinen Arm angeboten hatte? Sicherlich war sie keine Lügnerin, Betrügerin oder Diebin gewesen. Und die junge Mutter mit den drei Kindern, von denen eines noch als Säugling in ihren Armen gelegen hatte? Sie hatte ausgesehen, als würde sie jeden Augenblick in Tränen ausbrechen. Darum hatte ich ihr geholfen, die Grenze so schnell wie möglich zu überqueren. Denn das war immerhin meine Aufgabe: den Douaniers zu helfen.
    »Weißt du, wen sie versuchen zu betrügen?«
    Nun. Das war eine einfache Frage. Meine Mutter hatte immer gesagt, dass Betrüger nur sich selbst betrogen. Obwohl … mussten sie denn dafür nicht zuerst jemand anderen betrügen, bevor sie sich selbst betrogen? Ging es bei einem Betrug nicht gerade darum?
    »Denis!«
    » Oui, Leutnant!« Ich drückte mein Kinn noch fester gegen meine Brust, so dass es den obersten Knopf meines Mantels berührte.
    »Jeden gesegneten Tag überqueren Waren im Wert von Tausenden Livre diese Grenze. Und weißt du, was das Problem bei den meisten dieser Waren ist?«
    Ich glaubte – ich vermutete –, dass nun eine Antwort von mir erwartet wurde. »Dass sie aus den Spanischen Niederlanden stammen? Von diesen Leuten aus Flandern?«
    »Von diesen dreckigen, verrotteten, stinkenden Flamen. Oui. Und von diesen dreckigen, verrotteten, stinkenden Spaniern.«
    »Diesen dreckigen, verrotteten, stinkenden, versifften Spaniern.«
    »Du findest immer die richtigen Worte, Denis Boulanger.«
    » Merci, Leutnant.«
    Worte hatten mir schon immer gefallen. Sie waren einzigartig, was ihre Bedeutung betraf. Kein Wort konnte tatsächlich ein anderes ersetzen. Es war nicht wie bei der Armee, wo es keine große Rolle spielte, wie man aussah oder woher man kam. Wo der Mann neben dir deine Aufgabe genauso gut erfüllen konnte wie du selbst.
    »Tatsächlich kümmert mich die Tatsache, dass die Waren von diesen Flamen und diesen verdammten Spaniern stammen, überhaupt nicht. Weißt du, was mir stattdessen wirklich Sorgen bereitet?«
    Ich hätte raten können, aber ich konnte mir nicht sicher sein, dass ich die richtige Antwort finden würde. Es war am sichersten, nicht zu antworten.
    »Was mir wirklich Sorgen
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