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Die Blueten der Freiheit

Die Blueten der Freiheit

Titel: Die Blueten der Freiheit
Autoren: Iris Anthony
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jede andere Familie dasselbe erwarten.«
    »Wie viel Geld wollt Ihr mehr?«
    Sie nannte mir eine Summe.
    Es war viel mehr, als ich jemals hätte verdienen können, selbst wenn ich weitere fünf Jahre dafür Zeit gehabt hätte. Ich hatte Katharina verloren, wie ich bereits unseren Vater und unsere Mutter verloren hatte. Ich hatte ihr versprochen, sie zu retten, doch ich würde es nicht schaffen.

    Ich hatte getan, was ich konnte. Ich verscheuchte die Männer, die vor dem Tor herumlungerten, obwohl ich keine Hoffnungen hegte, dass sie sich allzu weit zurückziehen würden. Mir schauderte bei dem Gedanken daran, dass Katharina bald ihrer Gnade ausgeliefert sein würde. Schließlich gab ich einem Gassenkind eine Silbermünze. »Wenn du ein Mädchen aus dem Kloster kommen siehst, eine der Spitzenmacherinnen, dann lauf nach Kortrijk und berichte mir davon. Ich arbeite für Pater Jacqmotte in der Sint-Maartens-Kerk. Das ist die Kirche mit dem hohen Turm. Der Name des Mädchens ist Katharina.«
    »Katharina.«
    »Ja.«
    »Und wenn ich es mache? Wenn ich zu Euch komme und es Euch erzähle?«
    »Dann bekommst du noch eine von denen hier.« Ich holte eine weitere Silbermünze aus meinem Beutel und zeigte sie dem Jungen.
    Sein gutes Auge begann zu leuchten, als er die Hand danach ausstreckte.
    Ich schloss meine Faust um die Münze. »Wie heißt du eigentlich? Denk daran, ich arbeite für einen Priester. Ich werde es ihm verraten, wenn du mich belügst oder mich hintergehst.«
    Er zog die Hand zurück und betrachtete mich einen Augenblick lang. Dann entspannte sich sein zusammengekniffenes Gesicht, und schließlich antwortete er mir. »Pieter. Ich heiße Pieter.«

    Ich hatte getan, was ich konnte. Dennoch fühlte ich mich nicht besser. Selbst jetzt noch nicht, drei Tage später. Katharina hätte an meiner Stelle sein sollen. Ich hätte diejenige sein sollen, die in das Kloster aufgenommen wurde. Ich war immerhin die ältere Schwester. Katharina hätte leicht irgendwo Arbeit finden können. Sie war ein sonniges Kind mit goldenen Haaren und einem strahlenden Lächeln gewesen. Doch das Kloster hatte sich nicht für mich entschieden. Sie hatten einen Blick auf meine kurzen, pummeligen Finger geworfen und mich nicht einmal durch das Tor treten lassen. So hatten wir es nicht geplant. Nicht im Geringsten. Ich war die Ältere. Ich war diejenige, die am meisten aß. Aber letzten Endes hatten sie Katharina mitgenommen und mich zurückgelassen.
    Einige Jahre nachdem Katharina fortgegangen war, war unser Vater gestorben, und unser Gemeindepriester hatte mich bei sich aufgenommen. Die alte Pfarrhaushälterin zeigte mir, wie man einen Holzboden schrubbte und den Ofen beheizte. Pater Jacqmotte lehrte mich, wie man sich um die Kranken kümmerte und wie man die Toten aufbettete. Ich arbeitete hart – ich erledigte sämtliche Arbeiten –, doch es änderte nichts daran, dass ich wusste, dass alles meine Schuld war.
    Es war meine Schuld, dass unser Vater gestorben war: Er hatte mir das Essen überlassen, das eigentlich für ihn bestimmt gewesen wäre. Und es war meine Schuld, dass aus Katharina das geworden war, was sie war: Ein Mädchen, das zu schnell gealtert war. Mit von ihrer Arbeit gekrümmtem Rücken und verkrüppelten Fingern.
    Doch im Haus des Paters leistete ich Buße für meine Sünden. Fünfundzwanzig Jahre lang arbeitete ich mir meine kurzen, pummeligen Finger wund, um das zurückzugewinnen, was ich verloren hatte … Und nur, um schließlich herauszufinden, dass alles umsonst gewesen war. Es hatte nicht ausgereicht. Ich hatte nicht genug gespart.
    Ich hätte am liebsten am Ufer der Leie haltgemacht, mich auf die Böschung gesetzt und vor Trauer darüber, wie das Leben hätte verlaufen können, in meine Schürze geweint, doch es gab in dem Leben, das ich nun lebte, viel zu viel zu tun. Ich musste Kerzendochte zurechtschneiden und Abrechnungen im Auge behalten, ich musste Mahlzeiten zubereiten und die Messgewänder flicken. Ich musste den alten Herry Stuer besuchen, sein Bettzeug wechseln und ihm Wasser einflößen.
    Und sicherlich würde das Mädchen, das sich um ihn kümmern sollte, für den Rest des Vormittages mir die Aufgabe übertragen.
    Denn ich war immerhin die Pfarrhaushälterin. Solche Dinge, solche Großzügigkeiten, sowohl was meine Zeit als auch meine Hingabe betraf, wurden von mir erwartet. Sanfte Hände, ein kühler Kopf und immer ein Lächeln auf den Lippen … Obwohl ich die meiste Zeit am liebsten laut
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