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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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wohin!«
    Aber nicht dorthin, wo ich hingehe, dachte sie mit dem Anflug eines nervösen Lächelns. »Ich hab Ihnen doch gesagt, daß ich verheiratet bin, Gert.«
    »Ja, aber… mir ist aufgefallen, daß Sie Ihren Mann nie erwähnen, wenn Sie von München erzählen. Wo ist er?«
    »Er ist in Wien. Aber ich bin nicht geschieden.«
    »Ach, was kümmert mich das – Ehe, Scheidung –, ich liebe Sie völlig losgelöst von alledem. Über alles und jenseits und unbeschadet davon.« Seine Linke, die in einem Fäustling steckte, deutete mit ausladender Geste zum Gipfel hinauf. Seine bloße Rechte hielt Helenes behandschuhte Hand.
    »Ich bin vielleicht noch vier Tage hier. Warten wir also ab, wie Sie dann empfinden.« Sie sagte es so freundlich und beiläufig wie nur möglich und hatte doch ein bißchen Angst davor, wie er es aufnehmen würde.
    Er entgegnete ingrimmig: »Meine Gefühle sind unwandelbar, und wenn ich Sie nicht wiedersehen kann, dann ist mir mein Leben nichts mehr wert. Das weiß ich.«
    »Hallo!« hörte man es plötzlich rufen, und der Berg warf das Echo zurück.
    Auf dem Wegstück unterhalb von ihnen standen die beiden Franzosen, und André winkte mit ausgestrecktem Arm.
    34
    Gert stöhnte.
    Als Hélène an dem Morgen vom Frühstück zurückkam, standen Blumen auf ihrem Zimmer. Eine Karte war nicht dabei. Das Zimmermädchen hatte den Strauß in eine Vase gestellt. Langstielige rote Rosen, dazwischen ein paar kleine weiße und eine einzelne Paradiesvogelblume, vermutlich aus Nizza eingeflogen. Es klopfte. Doch als sie öffnete, standen draußen weder der Blumenkavalier noch ein Bote mit der vergessenen Karte, sondern der kleine Page, der am Ankunftstag ihr Gepäck heraufgebracht hatte. Er hielt eine rote Konfektschachtel in Händen.
    »Für Sie, gnädige Frau«, sagte der Junge.
    »Danke«, sagte sie und nahm die Bonbonniere entgegen.
    Wieder war keine Karte dabei. »Von wem?«
    Der Junge wich mit schüchternem Lächeln zurück. »Das darf ich nicht sagen, gnädige Frau.«
    Hélène tippte auf Gert. An diesem ungestümen, romantischen Jüngling hätte Goethe seine Freude gehabt.
    Hélène bezweifelte allerdings, daß seine Leidenschaft es mit der Werthers aufnehmen konnte. Sie aß mit den von Böchleins zu Mittag, aber Gert machte keinerlei Anspielung auf die Blumen oder das Konfekt, und als Hélène sich im Speisesaal umsah und ihr Blick auf das italienische Paar fiel, das ihr lächelnd zunickte, auf die beiden Franzosen, die sie ebenfalls anlächelten, auf vier oder fünf andere Männer und Frauen, die anscheinend jedesmal, wenn sie in ihre Richtung blickte, zu ihr hinschauten, gab sie es auf, den Blumen- und den Pralinenkavalier erraten zu wollen.
    Gert hatte sie inzwischen ausgeklammert. Der hätte sich 35
    etwas Kostspieligeres und Symbolträchtigeres einfallen lassen.
    Später am Nachmittag, als Hélène sich umgezogen und in Rock und Pullover mit einem Buch aufs Bett gelegt hatte, rief Gert an und fragte, ob er für einen Moment heraufkommen dürfe. Hélène brachte es nicht übers Herz, ihn abzuweisen. Er erschien unverzüglich und überreichte ihr eine große Rubinbrosche, ein Erbstück von seiner Groß-
    mutter, wie er sagte, das fortan ihr gehören solle.
    »Oh, Gert, die ist doch sicher für Ihre Braut bestimmt.«
    Hélène lächelte ihn verwundert an.
    »Du bist meine Braut«, sagte Gert mit feierlichem Ernst.
    »Deine Mutter wäre sehr verärgert, mein lieber Junge, wenn sie wüßte, daß du mir diesen Schmuck schenken wolltest.«
    »Die Brosche gehört mir, und ich kann damit tun, was ich will. Bisher habe ich sie immer bei mir getragen, sogar in den Vorlesungen. Gefällt sie Ihnen denn nicht, Hélène?
    Willst du sie nicht?«
    Hélène sann auf eine Möglichkeit, wie sie den Schmuck zwar annehmen, ihm aber später zurückgeben könnte. Sie sah wohl, daß es ihn bitter kränken würde, wenn sie die Brosche von vornherein zurückwiese. »Also gut. Ich fühle mich geehrt«, sagte Hélène und nahm die in zerknittertes weißes Seidenpapier eingeschlagene Brosche entgegen.
    Gert lächelte strahlend. »Ich danke dir, meine Liebste.« Er trat vor, und sie hob das Gesicht, um sich küssen zu lassen.
    Sie empfing einen keuschen Kuß auf die Lippen, flüchtig und seltsam, denn weder war es ein leidenschaftlicher Kuß, 36
    noch besiegelte er etwas, sann Hélène, und doch schien er dem Augenblick angemessen.
    »Ich laß dich jetzt ein Weilchen allein«, sagte Gert und wandte sich zum Gehen. Sein Gesicht
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