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Die Augen der Mrs. Blynn

Die Augen der Mrs. Blynn

Titel: Die Augen der Mrs. Blynn
Autoren: Patricia Highsmith
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Mittagessen? Falls Sie nicht Ski laufen wollen.«
    Den Blick, den ihm seine Mutter zuwarf, bemerkte er nicht.
    »Ja, morgen zum Lunch, wenn Sie möchten«, sagte Hélène, an alle drei gewandt. »Und vielen Dank für den Aperitif. Hat mich gefreut, Sie kennenzulernen.«
    »Ganz meinerseits«, antwortete Frau von Böchlein zuvorkommend.
    Zu ihnen an den Tisch, der für vier Personen gedeckt war, gesellte sich der Mann, der schon in der Bar neben André gesessen hatte. André schien darüber nicht erfreut, stellte ihn Hélène jedoch als seinen »Skikameraden« vor und schien seinen Unmut binnen weniger Minuten vergessen zu haben. Jeder der beiden unterhielt sich mit Hélène, als ob der andere Luft wäre.
    Gegen elf war man bereits zu acht, darunter ein italienisches Ehepaar aus Mailand. Eigentlich hatte man sich zum Kartenspielen in der Bar versammelt, aber dann wurde doch nur geredet, und Hélène fand sich zu ihrem Erstaunen im Mittelpunkt des Interesses, obwohl sie – wie gewöhnlich – ihrem Eindruck nach nichts Besonderes zu sagen hatte und auch wirklich nichts Bemerkenswertes von sich gab; trotzdem hingen anscheinend alle an ihren Lippen.
    31
    Man erkundigte sich nach ihrem Leben in München, und sie erzählte von dem Buch- und Schreibwarenladen, der ihr gemeinsam mit zwei anderen Frauen gehörte, und davon, wie sie sich im Verkauf abwechselten, damit jede reichlich Urlaub nehmen konnte und das Geschäft trotzdem florierte.
    Hélène erwähnte nicht, daß sie ihren Laden nicht wiedersehen würde. Der Gedanke schmerzte sie nicht. Esther und Henriette konnten und würden ganz gut ohne sie weitermachen. Alles war bestens geregelt. Esther, die keine eigenen Möbel besaß und momentan ein ziemlich teures möbliertes Zimmer gemietet hatte, würde mit Freuden Helenes Wohnung übernehmen, die diese ihr in einem zu Hause deponierten Brief vermacht hatte. Doch davon sprach sie ebensowenig wie von ihrem Sohn. Als man sie fragte, sagte Hélène, sie sei kinderlos. Alle schienen faszi-niert von dem wenigen, was sie erzählte, selbst von den kleinen Blumen im Schnee, die sie so entzückt hatten.
    Es ist, als trüge ich ein zauberkräftiges Parfüm, dachte Hélène bei sich, eines, das selbst die Frauen betört. Sehr merkwürdig.
    In den nächsten Tagen blieb Hélène, kaum, daß sie ihr Zimmer verließ, keinen Augenblick für sich allein. Die Männer reagierten gereizt, wenn andere sich hinzugesell-ten, wurden aber wieder versöhnlich, sobald alle gemeinsam beschlossen, einen Spaziergang zu machen, mit der Gondel zur Hütte hinaufzufahren (Hélène hatte keine Lust, Ski zu laufen) oder im Dorf unten Tee zu trinken. Einzig bei Gert legte sich die Gereiztheit nicht, und eines Morgens schoß er aus einem Sessel in der Halle auf und ihr entgegen, bevor jemand anders sie ansprechen konnte, und 32
    machte ihr, kaum daß sie zur Tür hinaus waren, eine Lie-beserklärung.
    »Aber Gert, ich bin ja alt genug, um Ihre Mutter zu sein«, stammelte Hélène verdutzt. »Mindestens!«
    »Ach, machen Sie sich doch nicht lustig über mich, Hélène«, flehte er. Seit zwei Tagen nannte er Hélène mit ihrer Erlaubnis beim Vornamen. »Ich ertrage es nicht, Sie umschwärmt von all diesen Männern zu sehen, denen nicht halb soviel an Ihnen liegt wie mir. Ich halte das nicht mehr aus!« Und er drückte sich Zeige- und Mittelfinger wie eine Pistole an die Schläfe.
    »Aber…« Hélène hob abwehrend die Hände und wußte nicht, was sie entgegnen sollte. Sein Ausbruch amüsierte sie, was sie sich keinesfalls anmerken lassen durfte, denn dem jungen Mann war es todernst. Auf Gefühlsausbrüche hatte sie noch nie zu reagieren gewußt, warf sie sich vor.
    »Wie soll ich ohne Sie weiterleben, Hélène? Ich kann's nicht!«
    »Unsinn, Gert! Glauben Sie mir, in einer Woche –«
    »Nicht in einem Jahr, niemals. Ich schwör's. Das ist endgültig. Für immer und ewig!«
    »Kommen Sie, wir gehen ein Stück spazieren.«
    Sie schlugen den Bergpfad ein, auf dem er sie zuerst an-gesprochen hatte.
    »Wissen Sie, ich gehe bald fort, und dann werden wir uns ohnehin nicht mehr sehen können«, sagte Hélène.
    »Wo wollen Sie denn hin? … Und warum kann ich Sie nicht wiedersehen?«
    33
    Zurück nach München, dachte Hélène unwillkürlich, doch da dies nicht der Fall war, konnte sie es auch nicht sagen. »Sie werden bald nach Graz zurückkehren.«
    »Aber ich würde überallhin gehen, um bei Ihnen sein zu können«, beteuerte er. »Australien, China, egal,
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