Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Asche der Erde

Titel: Die Asche der Erde
Autoren: Vonda N. McIntyre
Vom Netzwerk:
Suite.
    Dort stieß sie auf die Eindringlinge. Seltsame, wild aussehende Leute starrte sie an. Untergrundbewohner, Geächtete, Mutanten. Sie waren bewaffnet, und ihr Aufenthalt im Palast schien zu beweisen, daß die Gerüchte zutrafen. Die Eindringlinge hatten Essen kommen lassen und schienen den Erzeugnissen der Palastküche nicht ablehnend gegenüberzustehen. Niemand dachte daran, die Haushofmeisterin zu behelligen, und sie machte mit der Intuition langer Erfahrung mühelos die Anführerin der Gruppe aus. Sie war eine schlanke, rothaarige Frau, die sich auf einen von Blaisses samtbezogenen Sesseln niedergelassen hatte und mit freundlichem Ernst auf Saita einredete. Clarissas Bettgenosse, der neue Junge, saß mit angezogenen Knien in einer Ecke und bedeckte schaudernd die Augen, wann immer einer der Untergrundbewohner in seine Nähe kam.
    Die Aufseherin traute ihren Augen nicht. »Die gnädige Frau ... Valdrienne?«
    Sie erinnerte sich an die Zeit, als Val vertrieben worden war: ein mageres, ungeschicktes Ding, intelligent und von der gleichen Arroganz, die die übrigen Mitglieder ihrer Familie auszeichnete, dann aber zerbrochen und gedemütigt durch die Entdeckung, daß sie sich von ihren Geschwistern, Vettern und Cousinen unterschied und darum weniger als ein Mensch war. Val blickte auf, und das Wiedererkennen war beiderseitig und augenblicklich.
    »Es gibt keine Herren mehr. Sie dürfen mich Val nennen.« »Sind wir frei?«
    »Ja.«
    Die Aufseherin sah, daß Saita still weinte. »Dieses Kind ...« Sie wußte nicht, was sie über Saita sagen sollte, der man jegliches Wissen vorenthalten hatte und die nur Gehorsam, Selbstverleugnung und das Spenden sexuellen Genusses kannte. »Ihre Familie hatte keine Zukunft als Armut, bevor sie sie verkaufte. Ihr ganzer Stolz beruht darauf, daß sie ihrer Familie geholfen hat .. . Sie ist ein Kind.«
    »Ich weiß«, sagte Val. »Aber nur, weil man sie zwang, es zu sein. Sie kann noch immer heranwachsen, mit uns anderen.«
    »Ich möchte nicht unhöflich sein ...« Die Verwendung von Titeln in der Anrede war ihr so in Fleisch und Blut übergegangen, daß sie es schwierig fand, sich im Gespräch auszudrücken. »Darf ich gehen?«
    »Sie brauchen nicht zu fragen.«
    Die Haushofmeisterin verharrte noch einen Augenblick lang wartend; so viele Jahre hatte sie gefragt und nochmals gefragt, ob andere Dienstleistungen nötig seien, hatte sich verneigt und diejenigen gefürchtet, denen sie diente. Sie blickte auf ihre Hände, zog den Sklavenring vom dritten Finger der linken Hand und streckte ihn Val hin. »Können Sie ihn Blaisse geben?«
    Val lächelte. »Natürlich.«
    Die Aufseherin machte ihre Peitsche los und warf sie fort. »Ich habe sie nie gebraucht.«
    »Ich glaube es Ihnen. Ich erinnere mich.«
    »Leben Sie wohl.« Sie wandte sich um und verließ die Zimmerflucht. Ich bin nicht mehr ›Madame‹, dachte sie, ich bin nicht mehr Sklavenaufseherin, und das Wissen darum war der Sonnenschein, den sie seit ihrem achten Jahr nicht gesehen hatte.
     
    Sie ging in Subzweis Quartier und fand die Räume leer. Plötzlich zweifelte sie an dem, was sie getan hatte. Subzwei war in den Untergrund gegangen, und nun waren die Untergrundleute hier. Sie stellte sich vor, daß er tot, blutüberströmt und zerschmettert am Fuß eines Felsens lag, in einer namenlosen Höhle, verloren und vergessen. Sie berührte die Lehne seines Stuhles und wußte nicht, wohin sie sich wenden sollte.
    Seine Räume waren nicht so, wie er sie verlassen hatte. Eine Schranktür stand halb offen, einige seiner persönlichen Gegenstände fehlten, nicht von plündernden Eindringlingen gestohlen, sondern sorgfältig ausgewählt. Er mußte hier gewesen und gegangen sein.
    Warum sollte er nicht gegangen sein? fragte sie sich. Ich habe nie auf ihn reagiert ... aber er schien zu verstehen, warum ich es nicht konnte, obwohl ich ihn wollte ...
    Sie ging weiter durch die Räume, bis sie zum Datenanschluß kam und die Zerstörung sah, den geschmolzenen Bildschirm, die verbrannten Bedienungsknöpfe. Für einen Augenblick überkam sie schreckliche Angst, doch der einzige Geruch war der von verdampftem und verbranntem Kunststoff: Verbranntes Fleisch roch anders. Jemand hatte die Konsole als eine Vorsichtsmaßnahme zerstört, oder als eine Warnung. Vielleicht hatte er versucht, sie zu erreichen ... Sie hörte Schritte und hob den Kopf in hoffnungsvoller Erwartung.
    »Wo bist du .. .?« Subeins erschien in der Türöffnung und blickte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher