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Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Versunkene Gräber: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Elisabeth Herrmann
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Johannishagen im März 1945
    Rosa, lieb Röschen mein,
    ich lebe. Ich lebe! Du sollst es wissen, gleich im ersten Wort, ich lebe. Und der Tag wird kommen, an dem wir wieder vereint sind. Du, lieb Röschen lieb, die Kinder und ich. Ich bete beim Herrgott, dass er bald kommen wird, Tag und Nacht, zu jeder Stunde, doch unsere Herzen müssen geduldig sein. Dann kann ich die Tränen von deinen süßen Lippen küssen und dich im Arm wiegen. Nie mehr soll das Schicksal uns so grausam trennen. Nie mehr will ich euch verlassen, euch, mein Leben, mein Lieb, meine Ehr.
    Hatte ich doch schon die Hoffnung verloren, jemals wieder Heimaterde unter den Stiefeln zu spüren. Wochen war ich unterwegs, aneinandergereiht zu Ewigkeiten. Bin verwundet, mein Lieb, dennoch kann ich nicht ins Lazarett. Es gibt keins mehr, das mich nähme … Ich kann dir nicht schreiben, was geschehen ist, denn mein Geist sträubt sich, es zu fassen, meine Feder, es zu beschreiben.
    Rosa, lieb Rosa, ich war schon tot. Ertränkt im eigenen Blut und dem der Kameraden. Sie kamen wie eine rote Flut, bei Nacht, als die Kälte am schlimmsten war, erbittertste Gegenwehr, tapferstes Aufbäumen – vergebens. Mein Tolbrukstand war eine Falle. Die russischen Panzer preschten voran. Kaum, dass ich mich erheben konnte, waren sie über mich hinweg. Zwei Tage lag ich mehr tot als lebend im Stand. Erst als ich die rauchenden Trümmer verließ, die einmal unsere stolze Stellung gewesen waren, offenbarte sich mir das ganze Ausmaß des Gemetzels. Rauchende Krater, grotesk verbogenes Eisen, die Kameraden weiter flussab – alle tot. Fraß der Krähen, wenn nicht Eis und Schnee sich gnädiger zeigten als das Schicksal. Selbst ich nur ein bleicher, wankender Schatten. Mit zerfetzter Uniform schlich ich ins nächste Dorf. Geisterleer empfing es mich, zerstört, verbrannt. Was mit den Bewohnern geschehen war, erspare ich dir. Die Lichtung am Waldrand war ihre Richtstatt. Einem zog ich die Kleider aus. Ich schäme mich zu sagen, dass ich meine Uniform vergrub. Ich schäme mich der Feigheit, kein deutscher Soldat sein zu wollen, der neben seinen Kameraden nun im Winde schaukelt, von den Russen aufgeknüpft. Oder erschossen. Von Panzern zermalmt, von Splittern durchsiebt. Dann wäre ich doch ein Held, nicht wahr?
    Weißt du noch, wie du weintest und stammeltest: Ich will keinen Helden! Da riefen sie die Kinder und die Alten zum Sturm – ein Husten ist daraus geworden, mein Lieb, ein Husten, das im Donner der Geschütze nicht mehr zu hören war. Ich schäme mich, nicht tot sein zu wollen, es ist ein großes Verbrechen in diesen Tagen, am Leben zu hängen – aber ich will dich wiedersehen. Dich und die Kinder. So streifte ich die Kleider eines Toten über und lief los, wie all die anderen Verbrecher, die auch nicht tot sein wollten. Die nächste Kreuzung Richtung Ostbahn war belebter. Ein Greis schob den Karren durch den Schlamm, sein Weib und seine Kinder zogen ihn. Ochs und Kuh erschossen, die Schweine trieben tot im Fluss … nicht nur die Schweine, mein Lieb. Immer mehr Leute kamen dazu. Verlöschende, dem Wahnsinn nahe Gestalten waren darunter, Alte, Kranke, Kinder, Frauen …
    Ich packte mit an, er stellte keine Fragen. So kam ich, die Netze entlang, unserer schönen Heimat näher. Doch was ist von ihr geblieben?
    Später, mein Lieb, später. Nicht allen Wahn auf einmal. Ich bleibe bei dem, was wahr und richtig ist: Vor drei Tagen bin ich angekommen in unserem Haus.
    Ach, unser Haus, lieb Rosa! Wenn du es sehen könntest, das Herz würde dir brechen. Keine Scheibe mehr in den Fenstern, die Räume leer, verwüstet, geplündert. Die Tür zum Weinberg aufgebrochen und zersplittert, die Fässer leer, von den Flaschen nur noch Scherben. Ich weiß, der Schreck fährt dir in alle Glieder, wenn du dies liest. Doch warte ab, mein Lieb, warte ab.
    Die Straßen und Gräben sind gesäumt von fliegenden Händlern, flinken jungen Burschen, die im Tumult des Durcheinanders feilbieten, was nach dem großen Sturm noch heil geblieben ist. Federbetten, Töpfe, Gläser mit blassen Sommerpfirsichen – eins zerbrach beim wütenden Feilschen. Ich hab einen gestohlen, gestohlen, Rosa!, rennen musste ich, mit letzten Kräften erreichte ich ein dunkles Kellerloch, das ich mit Ratten teilte. Den Pfirsich verschlang ich noch im Laufen. Bis jetzt glaube ich, seine Süße auf meinen Lippen zu schmecken. Süß wie ein Kuss von dir, süß wie Friedels Lächeln, wenn er an seinem Daumen lutscht im
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