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Skandal im Ballsaal

Titel: Skandal im Ballsaal
Autoren: Georgette Heyer
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Skandal im Ballsaal

    Sylvester stand am Fenster seines Frühstückszimmers, stützte die Hände auf den Sims und starrte hinaus in die liebliche Landschaft. Von dieser Seite, der Ostfront von Chance, konnte man zwar den Zierteich nicht sehen, doch eine Zeder brach das Wogen des Rasens, der im Sommer von den Schnittern kurz gehalten wurde, und jenseits der Lichtung schimmerten im winterlichen Sonnenlicht die Stämme von Rotbuchen - Ausläufern des Home-Waldes. Sie übten noch immer ihre Anziehungskraft auf Sylvester aus, wenn sie ihn nun auch eher zu den Wildplätzen riefen als zu einem Land, wo jedes Dickicht einen Drachen barg und falsche Ritter die Reitwege herunter-gesprengt kamen. Er und sein Zwillingsbruder Harry hatten die Drachen getötet und große Attacken gegen die Ritter ausgefochten. Nichts war mehr davon übrig; Harry war beinahe vier Jahre tot. Aber nun gab es dort Fasane, um Sylvester hinauszulocken, und sie lockten ihn wahrlich, denn eine Folge grimmiger Fröste hatte den Boden zu Stein werden lassen und ihm zwei Jagdtage geraubt; der stürmische Nordwind hätte selbst den passioniertesten Jäger abgehalten, ein Gewehr in die Hand zu nehmen.
    Es war immer noch sehr kalt, aber der Wind hatte sich gelegt, und die Sonne schien; es war höchst unsinnig, dass er sich entschlossen hatte, dieser Tag solle wie'all die unfreundlichen, die ihm vorangegangen waren, der Arbeit geweiht sein. Er konnte natürlich seine Absicht ändern, indem er seinem Butler befahl, den verschiedenen Leuten, die seiner Befehle harrten, mitzuteilen, dass er sie am kommenden Tage empfangen wolle. Sein Makler und sein Haushofmeister waren den ganzen Weg von London gekommen, ihm ihre Aufwartung zu machen; aber Sylvester kam nicht auf den Gedanken, sie könnten Grund zur Klage finden, wenn man sie ungeduldig warten ließ. Sie standen in seinem Dienst und hatten keine andere Funktion, als seinen Interessen zu dienen; sie würden seine geänderten Absichten als eine Grille hinnehmen, wie sie von einem vornehmen und wohlhabenden Herrn zu erwarten war.
    Aber Sylvester war nicht launenhaft, und er hatte keineswegs die Absicht, dieser Versuchung zu erliegen. Launen brachten schlechte Diener, und für die Verwaltung ausgedehnter Besitztümer war eine gute Dienerschaft unbedingt vonnöten. Sylvester war gerade erst achtundzwanzig Jahre alt geworden, aber er hatte sein riesiges Erbe bereits angetreten, als er neunzehn war, und was immer für Dummhei-ten und Extravaganzen er begangen hatte, nie hatten sie ihn verleitet, das Erbe als Spielzeug zu behandeln oder sich der geringsten seiner Verpflichtungen zu entziehen. Er war für eine bedeutende Stellung geboren und dazu erzogen, sie in einer Art zu erfüllen, die der langen Reihe hervorragender Ahnen würdig war; und so wenig er nach seinem Recht fragte, all den Leuten Gehorsam zu befehlen, deren Namen auf seiner überwältigenden Lohnliste eingetragen waren, fragte er nach der Unentrinnbarkeit der Pflichten, die auf seine Schultern gelegt worden waren. Hätte man ihn gefragt, ob er über sein Ansehen erfreut war, er hätte wahrheitsgemäß erwidert, dass er das niemals bedacht hatte; aber er hätte es sicherlich sehr missbilligt, zu sehen, wie es plötzlich dahinschwand.
    Natürlich stellte ihm niemand je so eine Frage. Man hielt ihn allgemein für einen ausnehmend glücklichen jungen Mann, der mit einer hohen Stellung, Vermögen und Eleganz ausgestattet war. Keine böse Fee war zu seiner Taufe gekommen, um geheimnisvoll und mächtig sein Geschick mit der Gabe eines Buckels oder einer Hasenscharte zu beeinflussen.
    Obwohl nicht mehr als mittelgroß, war er gut proportioniert, mit breiten Schultern, einem Paar wohlgestalteter Beine und einem Aussehen, das einnehmend genug war, das Attribut „stattlich", das häufig darauf angewendet wurde, nicht ganz lächerlich zu machen. Bei einem geringeren Mann hätte die Eigenart der Augen, die schiefgestellt schienen unter den fliehenden schwarzen Brauen, für einen Makel gegolten; dem Herzog von Salford verliehen sie natürlich Vornehmheit. Und jene, die seine Mutter in ihrer besten Zeit bewundern konnten, erinnerten sich, dass auch sie diese dünne, erhabene Augenbrauenlinie hatte. Es schien, als wären die Augenbrauen mit einem Pinsel zusammengefügt worden, in einer glatten Linie zu den Schläfen aufwärts gezogen. An der Herzogin war diese Besonderheit charmant; an Sylvester war sie weniger attraktiv. Sie verlieh ihm, wenn er ärgerlich war und die
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