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Skandal im Ballsaal

Titel: Skandal im Ballsaal
Autoren: Georgette Heyer
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gesunken, gelang es ihr nicht mehr, sich ohne fremde Hilfe daraus zu erheben. Was für ein Ausmaß an Schmerzen sie erdulden musste, wusste niemand, denn niemals beklagte sie sich oder bat um Mitleid. „Ganz gut" war ihre beständige Antwort auf besorgte Fragen nach ihrem Wohlbefinden; und wenn jemand die Eintönigkeit ihres Daseins bedauerte, lachte sie und sagte, Mitleid sei auf sie verschwendet und wäre besser auf jene angewendet, die um sie bemüht waren. Was sie betraf, so glaubte sie, man solle sie eher beneiden als bemitleiden: mit einem Sohn, der ihr all den Londoner Klatsch zu Gehör brachte; einem Enkel, der sie mit seinen Possen amüsierte; einer Schwiegertochter, die mit ihr die neuesten Moden diskutierte; einer geduldigen Cousine, die ihre Grillen ertrug; einer ergebenen Dienerin, die sie verhätschelte, und einem alten Freund, Mr Leyburn, der mit ihr in ihren Büchern schmökerte. Außer ihren engsten Freunden gegenüber erwähnte sie ihre Gedichte nicht, aber es entsprach den Tatsachen, dass die Herzogin Schrift-stellerin war. Mr Blackwell hatte zwei Bände ihrer Verse veröffentlicht, und diese hatten sich ziemlicher Beliebtheit unter den Mitgliedern der guten Gesellschaft erfreut; denn obwohl sie natürlich anonym veröffentlicht wurden, enthüllte sich das Geheimnis ihrer Autorschaft bald und schienen ihnen beträchtliches Interesse zu sichern.
    Als Sylvester das Zimmer betrat, war die Herzogin mit Schreiben beschäftigt, und zwar auf einem Tisch, der vom Gutszimmermann so klug angefertigt war, dass er quer zu den Armstützen ihres Lehnstuhles passte. Als sie sah, wer eingetreten war, legte sie ihre Feder nieder und begrüßte Sylvester mit einem Lächeln, das charmanter war als sein eigenes, denn es zeigte mehr Wärme. Sie rief aus: „Ah, wie reizend! Aber sehr lästig für dich, mein Lieber, am ersten guten Jagdtag, den wir seit einer Woche haben, zu Hause bleiben zu müssen!"
    „Tödlich langweilig, nicht wahr?", erwiderte er und beugte sich über sie, um ihre Wange zu küssen. Sie streckte die Hand aus, um sie auf seine Schulter zu legen, und er hielt einen Augenblick inne und prüfte ihren Gesichtsausdruck.
    Offensichtlich war er mit dem, was er sah, zufrieden, denn er ließ seine Augen zu dem hübschen Spitzenhäubchen, das auf ihrem silbrig-schwarzen Haar saß, schweifen und sagte:
    „Ein neuer Stil, Mama? Das ist eine ganz bezaubernde Haube!"
    Ein leichtes Lächeln erschien in ihren Augen. „Gestehe, dass dir Anna den Wink gab, von meinem Putz Notiz zu nehmen!"
    „Aber nein! Meinst du, deine Kammerfrau müsse mich erst aufmerksam machen, wenn du in voller Schönheit erstrahlst?"
    „Sylvester, du machst so charmant den Hof, dass ich fürchte, du musst der zügelloseste Herzensbrecher sein!"
    „Oh, nicht zügellos, Mama! Arbeitest du an einem neuen Gedicht?"
    „Bloß ein Brief. Liebster, wenn du den Tisch wegschiebst, kannst du diesen Sessel ein wenig heranziehen, und wir können uns bequem unterhalten."
    Er wurde an der Ausführung durch den eiligen Eintritt von Miss Augusta Penistone gehindert, die aus dem angrenzenden Zimmer kam und ihn ein wenig zusammenhanglos bat, sich nicht zu bemühen, da sie diese Arbeit ausschließlich als ihre eigene betrachte. Dann schob sie den Tisch auf die Seite des Zimmers, und statt sich zurückzuziehen, wie er es stets wünschte, zauderte sie und lächelte ihn liebenswürdig an. Sie war eine steife, ziemlich unbeholfene Frau, ebenso freundlich wie treuherzig; und sie diente der Herzogin, deren Verwandte sie war, als Gesellschafterin. Ihre Gutmütigkeit war unerschöpflich, aber unglücklicherweise war sie bar jeglicher Intelligenz und versäumte selten, Sylvester dadurch zu reizen, dass sie ihm Fragen stellte, deren Antworten offenkundig waren, oder dass sie Selbstverständliches erklärte. Er ertrug es sehr gefasst, denn seine Manieren waren außerordentlich gut. Sie stellte fest, dass er nicht zum Jagen ausgegangen war, erinnerte sich aber, dass man nach einem strengen Frost nicht jagte, und bemerkte, fröhlich über ihren Fehler lächelnd: „Nun, das war aber sehr töricht von mir, das zu sagen, nicht wahr?" Darauf konnte er sich nicht enthalten, mit vollendeter Verbindlichkeit zu erwidern: „Allerdings."
    Bei diesem Stand des Zwiegesprächs griff die Herzogin ein und forderte ihre Cousine auf, den Sonnenschein draußen zu genießen, solange er noch anhielt. Um sicherzugehen, sagte Miss Penistone, sie würde es sich wirklich erlauben, wenn
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