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Im Himmel ist die Hölle los

Im Himmel ist die Hölle los

Titel: Im Himmel ist die Hölle los
Autoren: Tom Holt
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    Die Sonne ging auf. Sie war dreckig, zu spät dran und hätte schon vor fünfzig Billionen Kilometern zur nächsten Inspektion gemußt. Aufgrund einer gerissenen Dichtung war ihre Oberfläche von einem dünnen Ölfilm überzogen. Aber sie war aufgegangen und lief, und das allein war schon so etwas wie ein Wunder.
    »Jetzt bist du dran, mein Junge«, sagte der technische Leiter, wobei er sich mit dem Handrücken über die Stirn wischte. »Laß sie bloß nicht abstürzen, klar?«
    Der technische Assistent machte ein böses Gesicht. »In einer Tour sagen Sie das«, entgegnete er. »Und ist mir jemals etwas …?«
    »Bis jetzt noch nicht.«
    Der ältere Techniker blickte nach unten auf die riesige Feuerscheibe und mußte unwillkürlich lächeln. Sicher, er hörte das ausgeprägte Knirschen und roch das brennende Öl, aber ein beeindruckender Anblick war sie trotzdem. Damals hatte man noch Sachen gebaut, die lange hielten, und das war gut so. Natürlich hatte man in jenen Tagen auch über die entsprechenden finanziellen Mittel verfügt.
    »Sehen Sie? Das Gyroskop hat schon wieder den Geist aufgegeben«, stellte der Assistent fest.
    »Gyroskop«, wiederholte sein älterer Kollege verächtlich. »Moderner Scheißkram. Du mußt sie einfach per Hand steuern, das ist alles.«
    »O nein, da habe ich keine Lust drauf!« jammerte der technische Assistent. »Wenn ich das machen muß, verpasse ich schon wieder das Mittagessen.«
    »So ein Pech aber auch …« Der technische Leiter ließ in Gedanken einige Beobachtungen über die jüngere Generation Revue passieren und nahm sich dabei insbesondere diejenigen Angehörigen vor, die Ohrringe trugen. »Als ich in deinem Alter war, da …«
    »Jaja, ich weiß, das haben Sie mir alles schon mal erzählt.«
    »Für die einmalige Gelegenheit, die Sonne allein fliegen zu dürfen, hätte ich alles gegeben.« Gedankenversunken hielt der technische Leiter inne und fügte seufzend hinzu: »Damals waren wir noch stolz auf unsere Arbeit.«
    »Jaja, und was nützt mir das heute?«
    Sein junger Kollege hatte nicht ganz unrecht. Heutzutage war wirklich alles ganz anders, gestand sich der technische Leiter ein, während er seinen Ranzen packte und sich die Hosenklammern überschob. Man verausgabte sich nicht mehr so für eine Sache; was waren das für Zeiten gewesen, als der Große Bär von fünfhunderttausend Kilometern Isolierband und einem rostigen Nagel an seinem Platz am Firmament gehalten wurde!
    »Du solltest froh sein, daß du überhaupt einen Job hast«, stellte er schließlich ohne Überzeugung fest.
    Sein Assistent machte sich nicht einmal die Mühe zu antworten; mit leerem Blick und Walkman-Kopfhörern in den Ohren lehnte er auf dem Sicherheitsfahrschalter und starrte hinunter auf den Stern Beteigeuze. Irgend etwas verriet dem technischen Leiter, daß sich die Menschheit glücklich schätzen könne, wenn ihr bis zum Einbruch der Nacht nichts Schlimmeres als ein paar Stunden unerklärlicher Dunkelheit widerfuhr.
    Trotzdem, sagte er sich, als er sich mühsam auf sein hochbetagtes Fahrrad zog und in steifer Haltung über die funkelnde Autobahn der Sterne davonradelte, wenn man auf seine Arbeit stolz sein soll, dann muß sie auch etwas sein, auf das man stolz sein kann. Wenn der ganze Laden aber völlig heruntergekommen ist, was kann man dann schon erwarten? Kein Wunder also, daß der Junge demoralisiert ist. Welchen Sinn hat es, sich zu plagen, wenn sich offenbar sonst niemand einen Dreck darum schert?
    Sein Heimweg führte ihn an den Mondhallen vorbei, und während er noch seinem Gedankengang nachhing, hielt er an, stützte sich auf den Lenker und warf durch die großen Doppeltore hindurch einen Blick ins Innere. Dort wurde der Mond gerade mit einer Winde für den Tag ins Trockendock gezogen. Von weitem betrachtet, raubte er ihm jedesmal wieder den Atem. Aus der Nähe bot er jedoch keinen schönen Anblick.
    »Heiliger Strohsack!« seufzte er entsetzt.
    Zugegeben, es war schon einige Zeit her – Jahrhunderte wahrscheinlich –; seit er sich zum letztenmal die Zeit genommen hatte, anzuhalten und den Mond so genau wie jetzt zu betrachten, aber es ließ sich nicht leugnen, daß sich der alte Knabe in einem ziemlich traurigen Zustand befand.
    »Was haben die bloß mit ihm angestellt?« fragte er sich laut.
    Einer der Wartungsingenieure, ein furchteinflößend aussehender junger Mann mit Mohikanerfrisur und einem Ring im rechten Nasenflügel, sah sich um und starrte ihn an. Der
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