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Skandal im Ballsaal

Titel: Skandal im Ballsaal
Autoren: Georgette Heyer
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hochgezogene Linie durch ein Stirnrunzeln verstärkt wurde, den Anstrich eines Satyrs.
    Er war gerade im Begriff, sich vom Fenster abzuwenden, als eine kleine, davoneilende Gestalt seine Aufmerksamkeit erregte. Aus dem Schutz einer Eibenhecke auftauchend, hastete ein kleiner Junge mit goldenem Lockenkopf über die Lichtung davon in Richtung des Home-Waldes. Seine in Nankinghosen steckenden Beine bewegten sich rasch über das Gras, und unter einem Ohr lugte die frisch gewasche-ne Halskrause seines Hemdes zerknittert aus dem Wolltuchmantel, den eilige und ungeschickte Hände über seine kleine blaue Jacke gezogen hatten.
    Sylvester lachte und schob das Fenster hoch. Seine erste Eingebung war, Edmund bei seinem Abenteuer Erfolg zu wünschen, aber als er sich hinauslehnte, besann er sich anders. Wenn Edmund auch nicht wegen seines Kindermädchens oder seines Erziehers stehen bliebe, so hätte er es doch getan, falls sein Onkel nach ihm rief. Und da ihm seine Flucht vor diesen Leuten gelungen war, schien es unsportlich, ihn aufzuhalten, wenn sein Ziel in Sicht war. Ihn unter dem Fenster Zeit vergeuden zu lassen, hieß ihn der Gefahr aussetzen, gefangen zu werden; und das würde, so überlegte Sylvester, zu einer jener Szenen führen, die ihn tödlich langweilten. Edmund würde um seine Erlaubnis bitten, in den Wald zu gehen, und ob er sie gab oder versagte, er wäre gezwungen, die Vorwürfe seiner verwitweten Schwägerin zu ertragen. Man würde ihn beschuldigen, den armen kleinen Edmund entweder mit brutaler Strenge oder mit herzloser Gleichgültigkeit zu behandeln; denn Lady Henry Rayne konnte sich nicht dazu durchringen, ihm zu verzeihen, dass er seinen Bruder überredet hatte (wie sie halsstarrig behauptete), Edmund seiner alleinigen Obhut zu überlassen.
    Es war für jedermann sinnlos, Lady Henry zu erzählen, Harrys Wille sei anlässlich seiner Heirat nur deshalb schriftlich aufgesetzt worden, um bei einem Unfall - den niemand für unwahrscheinlicher hielt als Harry selbst - sicherzugehen, dass ein Nachkomme des Paares unter dem Schutze des Fa-milienoberhauptes geborgen sei. Für wie dumm Sylvester sie auch halten mochte, so war sie doch nicht so naiv, sich ein-zubilden, sein Anwalt hätte es ohne seinen ausdrücklichen Befehl gewagt, eine so schändliche Klausel einzufügen. Sylvester, den die Wunde von Harrys Tod noch schmerzte, hatte sich zu dem bitteren Vorwurf hinreißen lassen: „Wenn du glaubst, ich will diesen Balg am Halse haben, bist du noch naiver, als ich angenommen hatte!"
    Er musste diese voreiligen Worte bedauern, denn obwohl er sie sofort zurücknahm, ließ man sie ihn nie vergessen.
    Und sie bildeten heute, da die Aufsicht Edmunds eine Angelegenheit von großer Wichtigkeit geworden war, den Grundstein der Argumente Lady Henrys. „Du wolltest ihn nie", erinnerte sie ihn. „Du hast es selbst gesagt!"
    Es war natürlich zum Teil wahr gewesen: außer der Tatsache, dass es Harrys Sohn war, hatte er sehr wenig Interesse für einen zweijährigen Jungen aufgebracht, und er hatte ihm nie mehr Aufmerksamkeit gezollt, als man es von einem jungen Mann erwarten mochte. Als Edmund jedoch dem Säuglingsalter zu entwachsen begann, achtete er schon mehr auf ihn, denn Edmunds erstes Ziel war, sich selbst so fest wie möglich an seinen prächtigen Onkel anzuschließen, wann immer dieser in Chance war. Er hatte Eigenschaften, die Button, dem Kindermädchen Edmunds (sie hatte auch schon seinen Vater und seinen Onkel großgezogen) oder seiner Mama gänzlich fehlten. Sylvester zeigte keine Neigung, seinen Neffen zu verzärteln: zerrissenen Kleidern gegenüber war er gleichgültig. Die Unterhaltung, die er mit Edmund führte, war kurz und sachlich; und wenn er ihm in ungnädiger Laune mit Nachdruck etwas über seine Pflicht zu sagen hatte, konnte es immer geschehen, dass er ihn vor sich in den Sattel setzte und in raschem Galopp mit ihm durch den Park flog. Diese Eigenschaften gingen Hand in Hand mit einer weniger liebenswürdigen, denn gottähnlichen Eigenart: Er verlangte augenblicklichen Gehorsam für seine Befehle und hatte eine barsche Art, mit Widerspenstigen umzugehen.
    Sylvester dachte, dass Janthe und Button ihr Bestes taten, um Edmund zugrunde zu richten; doch während er nicht zögerte, diesem durchtriebenen jungen Herrn klarzumachen, wie töricht es sei, bei ihm die Methoden anzuwenden, die in der Kinderstube Erfolg hatten, kam es selten vor, dass er sich wirklich in seine Erziehung einmischte. Er sah an
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