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Tod eines Eisvogels - Roman

Tod eines Eisvogels - Roman

Titel: Tod eines Eisvogels - Roman
Autoren: Aufbau
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EINS
    Das Aufklatschen des Körpers drang in der Dunkelheit mit leichter Verzögerung zu mir herauf. Dann wurde es wieder still, und das gleichmäßige Rauschen des Wassers hatte alle Geräusche verschluckt.
    Wir mußten inzwischen mehr als eine Stunde gefahren sein. Im Wageninnern hatte es sich beängstigend angehört, wie die Reifen auf dem hellen Kies durchdrehten, und ich dachte, wir kämen nie von dort weg. Doch dann griffen die Vorderräder, und mein alter Datsun schoß hinaus auf die freie Straße.
    Im Rückspiegel sah ich, wie das Blut des Hamsters an der frisch gekalkten Hauswand leuchtete. Dumpf war das Tier dagegengeknallt, während ich den ersten Gang einlegte und das Gaspedal durchtrat. Kaum einen Meter von der Kühlerhaube entfernt hatte Raab ausgeholt und den kleinen Körper in unsere Richtung über das Autodach hinweg geschleudert.
    Der Wagen brach beim Anfahren seitlich aus, dannging alles sehr schnell, und bei einem letzten Blick in den Rückspiegel sah ich, wie aus der angrenzenden Cafeteria, das kleine Treppchen hinunter, Patienten in den Hof liefen. Lautlos war Leni neben mir weggetaucht. Erst als wir aus dem Tal herausfuhren und die ockerfarbenen Gebäude der Anstalt hinter den Bäumen verschwanden, nahm sie, noch immer leicht zitternd, die Hände vom Gesicht.
    Fiel das späte Licht des Nachmittags auf ihren Mund und die ängstlich verengten Augen, legte es einen rötlichen Schimmer über ihre Züge.
    Daß ich sie diesmal mitnehmen würde, hatten wir bei unserem letzten Telefonat abgesprochen; daß es aber so schwierig sein würde, sie dort herauszuholen, hatte keiner von uns beiden geglaubt.
    Mit siebzehn Jahren war sie am Ende einer mehrwöchigen Fahrradtour mit Freunden scheinbar grundlos von ihrem Rad gestürzt und in eine fast zehntägige, komaähnliche Bewußtlosigkeit gefallen. Als sie dann das erste Mal in einer Nervenklinik erwachte, war dies der Beginn einer Odyssee durch trostlose Anstalten. Seit jenem Sturz waren fast fünfundzwanzig Jahre vergangen, und aus dem Mädchen mit dem hellen Lachen war eine blasse, störrische Anstaltsinsassin geworden, die ihre Zeit in Arbeitstherapien verdöste, Kugelschreiber zusammenschraubte und beige Pappkartons faltete.
    Tagelang hatten wir abwechselnd an ihrem Bett gesessen und auf ihr Erwachen gewartet. Müde ließ sie ihre fragenden Blicke über unsere Gesichter wandern, als schien sie sich Antworten von uns zu erhoffen auf das, was mit ihr geschehen war. Wie selbstverständlich nahmen wir die Diagnose ihrer Schizophrenie hin. Leni lag wie hinter einer dicken Glasscheibe, auch wenn sie manchmal einem ganz normalen jungen Mädchen glich. Und wenn wir unsere Verzweiflung hinter hilflosen Worten zu verbergen suchten, war es, als hätten auch unsere Blicke und Gesten aufgehört, die uns geläufigen zu sein. Mutter holte sie bald darauf für einige Wochen nach Hause; doch wirklich zurückgekehrt ist sie seit diesen Tagen nicht mehr.
    Scheinbar ziellos lenkte ich den Datsun über Landstraßen an Maisfeldern vorbei in die Dämmerung. Sprangen in den Häusern der Dörfer und Kleinstädte die Lichter an, oder wies eine Neonreklame am Straßenrand auf ein Restaurant hin, dann zuckte sie hin und wieder auf, als wolle sie etwas sagen.
    Unser beinahe stummes Fahren durch die Nacht wurde nur unterbrochen, wenn Leni mir mit einem beiläufigen Handzeichen signalisierte, daß sie wieder rausmußte. Ihr Schweigen habe ich anfangs als Abwehr oder Scheu gedeutet, bis ich begriff, daß ihr das Reden im Laufe der Zeit unwichtig geworden war.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so fuhren. Irgendwannhaben wir die holländische Grenze passiert. Mehrere Male glaubte ich, schon das Meer riechen zu können, wenn ich die Fensterscheibe einen Spalt weit herunterkurbelte und die kühle Nachtluft leicht salzig zu schmecken schien. Leni wollte ans Meer, soviel hatte ich bei unserem letzten Telefonat verstanden. Doch als es nur noch eine knappe Autostunde entfernt war, zeigte sie kein sonderliches Interesse mehr.

ZWEI
    Am nächsten Morgen hing ein dichter, weißer Schleier über dem Meer. Die ganze Nacht hatte es geregnet, und noch immer wühlte der Wind in den Pfützen. Möwen flogen im Nieselregen über dem Wasser. Wir hatten in der Nacht das erstbeste Hotel genommen.
    Als ich die Augen aufschlug, stand Leni immer noch dort am Fenster, wo ich sie Stunden zuvor aus dem Blick verloren hatte, als ich eingeschlafen war. Sie rauchte. Das spitze, wiederkehrende Zischen, mit dem sie
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