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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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fuhr Schnabel fort. »Zumal wenn es im Gedenken an Euren geliebten Gatten geschieht. Aber es kommt der Zeitpunkt, an dem man nur an sich denken sollte. Dieser Zeitpunkt ist nun da. Heute geht es Euch noch gut, ich meine jetzt die finanzielle Seite der Existenz. Ihr seid jung, leidlich jung. Und gesund, wie ich doch hoffe, sicher seid Ihr gesund. Aber wenn Ihr mir die Bemerkung nachsehen wollt, Ihr seht müde aus. Erschöpft. Eine Reise würde Euch gut tun. Ablenkung. Aber vor allem Ruhe. Ein anderes Leben. Ihr lebt immer noch, als sei Rosländer am Leben. Ihr seid wie eine Kugel, die rollt, lange, nachdem sie die Hand verlassen hat, die der Kugel ihren Schwung gab. Aber der Schwung lässt nach, es kommt der Moment, an dem die Kraft der Kugel erschöpft sein wird. Ihr müsst handeln, bevor es zu spät ist. Ich bin bereit, Euch in jeder nur denkbaren Beziehung zu unterstützen.«
    Anna Rosländer wandte sich nach links. Spontan dachte Schnabel, dass sie ihn stehen lassen würde. Aber sie bewegte sich langsam, sie wollte ihm die Gelegenheit geben, an ihre Seite zu gelangen.
    »Jetzt ist es so weit«, murmelte Hedwig Wittmer . Sie war mit Trine über die Planke auf den Neubau geschritten. Querner , der junge Schlaumeier von Rosländer, hatte den Gästen einen Rundgang angeboten. Trine Deichmann hatte sich in ihrem Leben nicht mehr als zehn Mal auf offenem Wasser befunden. Und nur ein einziges Mal hatte sie in keiner Richtung Land gesehen. Ein Schiff, das festgemacht war, kam ihr sicher genug vor, um das unsichere Gefühl für wenige Minuten zu überwinden. Trine Deichmann war eine vernünftige Frau. Sie wusste, wie es im Leben zuging, wo es gefährlich war und wo nicht. Nicht gefährlich war es, ein Schiff zu betreten, wenn weiße Wolken am Himmel standen und fast kein Wind ging. Aber auch dann öffnete sich unter dem Schiff ein Schlund von unvorstellbaren Ausmaßen. Jederzeit konnte das Schiff zerbrechen oder Schlagseite bekommen; man konnte über Bord fallen oder über Bord geworfen werden. Alles war möglich. Und Trine fürchtete sich nicht nur vor einem einzigen Unglück. Sie fürchtete sich davor, dass alles zugleich geschehen könnte. Das Schiff schlug leck, es neigte sich zur Seite, und im selben Moment packten starke Arme zu, um Trine ins Wasser zu werfen. Dass sie nicht schwimmen konnte, passte gut ins Konzept.
    Hedwig entging nicht, mit welcher Kraft sich die Freundin an das Geländer krallte. Weiß stachen die Fingerknochen durch die Haut, kaum schaffte es Trine, den Kopf so weit zu heben, um das Paar zu verfolgen, das Richtung Meer davonschritt .
    »Schnabel greift an«, fuhr Hedwig fort. »Mein Mann hat gesagt, er ist so weit.«
    »Was geht Euren Mann denn die Schifffahrt an?«, fragte Trine.
    Sie bereute die dumme Frage im nächsten Moment und lächelte Hedwig entschuldigend an.
    »Wir sinken nicht«, versicherte die.
    »Das weiß ich doch. Aber es tröstet mich kein bisschen.«
    »Trine Deichmann, manchmal seid Ihr wie eine Frau von vor 100 Jahren. Oder vor 500, falls es da schon Menschen gegeben hat.«
    Von der Frau des Brauereibesitzers erfuhr Trine, worüber im Rathaus, in der Schifferbörse und bei jedem Treffen von mehr als zwei Kaufleuten gesprochen wurde. Wie würde es mit dem Geschäft Rosländer weitergehen? Würde die Witwe das Unternehmen verkaufen oder es aufgeben? War es denkbar, dass sie sich einen Mann von außerhalb holen würde, der fortan die Geschäfte führen würde? Wie gesund war das Unternehmen? Was würde es den kosten, der es kaufen wollte?
    Trine fragte: »Ihr meint, Schnabel hat Interesse?«
    »Er wäre der natürliche Nachfolger. Er ist Reeder und betreibt eine kleine Werft, er wäre einen direkten Konkurrenten los. Und für die Angestellten wäre es die beste Lösung, denn Anna wird dafür Sorge tragen, dass sie übernommen werden.«
    Trine erinnerte sich gut an die Umstände von Rosländers Tod. Im strengen Winter hatte man ihn auf dem Eis der Trave gefunden: mit zerschmetterten Knochen und Anzeichen, dass jemand sehr zornig auf Rosländer gewesen war. An Verdächtigen bestand kein Mangel. Rosländer hatte keine Gelegenheit ausgelassen, sich Feinde zu machen. Im Geschäftsleben rempelte er jeden an, der nicht schnell genug auswich, und manchmal auch den, der ausweichen wollte. Er übervorteilte für sein Leben gern, sein Wort war mit Vorsicht zu genießen. Sein Wagemut trug ihm Respekt ein, aber am Ende hatte er es mit seinen halsbrecherischen Finanzierungsgeschäften beim Bau
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