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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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Leben voller Lieblosigkeit, Hunger und Schläge in Lübecker Waisen- und Armenhäusern bald vergessen sein würde.
    Mehrere Male kam Trine Deichmann in das Haus, in dem es nach Essen und kaltem Rauch roch. Anna Rosländer konnte so viel, und was sie nicht konnte, hatte sie erlernt. Mit dem Kinderkriegen ging es nicht so. Sieben Schwangerschaften, aus denen zwei Kinder hervorgingen, von denen Arthur nicht gesund zur Welt kam und nie mehr ganz gesund wurde.
    Seine Bestätigung suchte und fand Rosländer bei anderen Frauen. Über die Zahl seiner illegitimen Kinder kursierten saftige Gerüchte, sie reichten von fünf bis 21. Anna Rosländer äußerte sich dazu nie, sie verließ ihren Mann auch nicht, gemeinsam zogen sie mit ihrem Tross ruhelos durch die Gasthäuser.
    Dann starb Rosländer.
    Und jetzt unterbreitete ein Kaufmann der Witwe ein Angebot.
    »Was wird sie tun?«, fragte Trine.
    »Wenn sie klug ist, verkauft sie. Sie treibt den Preis hoch, bis ihm Schweißtropfen auf der Stirn stehen, und stimmt dann zu.«
    »Und danach? Was wird danach?«
    »Dann ist sie immer noch 48 und kann endlich anfangen zu leben. Ohne betrogen zu werden, ohne dass ihr Trunkenbolde die Teppiche vollkotzen , ohne Geschrei, ohne Aufregung. Einfach leben.«

5
    Auf dem Heimweg sah sie kurz bei Rogges vorbei. Sie schlug zwei Fliegen mit einer Klappe, denn neben der Hausherrin war auch Olivia in anderen Umständen. Der langjährigen Haushälterin fehlten für diesen Umschlag ihrer Biologie alle Voraussetzungen. Sie war mit 29 nicht mehr die Jüngste, sie war nicht verheiratet, ja, es gab nicht einmal einen Kavalier, der ihr den Hof machte oder mit dem sie so lange befreundet war, dass es nur eines Gläschens zu viel und einer günstigen Gelegenheit bedurft hätte, um erst die Hemmungen und dann das Mieder fallen zu lassen.
    Olivias Schwangerschaft gab viele Rätsel auf, und sie tat nichts, um die offenen Fragen zu beantworten. Dagegen gab die Schwangerschaft der Herrin keine einzige Frage auf. Wer fünf Kinder hatte, kam leicht auf sechs, und wer dermaßen komplikationslose Schwangerschaften erlebt hatte, würde auch die neue beherrscht, fast nebenbei hinter sich bringen.
    So traf Trine Deichmann denn auch auf eine Atmosphäre alltäglicher Verrichtungen. Nichts wies darauf hin, dass sich die Herrin schonte; streng genommen wies auch nichts darauf hin, dass sie für das wachsende Leben in ihrem Leib Interesse aufbrachte. Ganz zu schweigen von Rogge , dem notorischen Erzeuger. Mal wirkte er gelangweilt, mal belästigt, nie strahlte er Freude aus. Nüchtern wie eine Sackwaage ging er seinen Geschäften nach. Rogge handelte mit Teppichen und Stoffen. Das Haus war voll von Beweisen für seine Profession. Teppiche fanden sich überall, auf dem Boden natürlich, aber auch an den Wänden und auf den Treppen. Selbst Flure, die Küche: überall Teppiche. Die Böden im Keller wurden von Teppichen bedeckt. Kleine Teppiche lagen auf den Sofas und Sessellehnen, auch auf den Tischen. Rogges waren besessen von Teppichen in jeder Form und Größe. Als Zahlungsmittel waren sie dem Geld gleichwertig. Zweimal war Trine mit einem Teppich nach Hause gekommen.
    Als sie der Hausherrin gegenüberstand, hatte Trine wieder das Gefühl, als wisse ihr Gegenüber im ersten Moment nicht, was die Hebamme ins Haus geführt hatte. Es war nicht so, dass Trine sich abgelehnt fühlte. Aber überflüssig war sie hier bestimmt. Zwei kurze Fragen, zwei halb so lange Antworten – das war’s. Nie berichtete die Hausherrin von Unwohlsein, Schmerzen, Sorgen. Stets stand alles zum Besten. Die beiden kleinsten Rogges wieselten um sie herum. Die beiden Älteren waren bei befreundeten Kaufleuten in die Lehre gegeben worden. Das fünfte Kind ruhte in einer kühlen Gruft, ein durchgehendes Pferd, eine umstürzende Kutsche. »So gehen sie dahin«, hatte Rogge den Verlust auf den Punkt gebracht. »Leben ist Reichtum, Leben ist Schwund.«
    Dafür hätte Trine ihm gern ins Gesicht geschlagen, es trieb sie, dem Mann seinen Gleichmut auszutreiben. Aber sie wusste, was in Lübeck möglich war und was nicht.
    Der nächste Weg führte sie zu Olivia. Hier war alles entgegengesetzt. Hier wurde sie erwartet, hier wurde bereitwillig der Leib präsentiert, hier wurde in epischer Breite berichtet, jedes Brummen im Bauch, jeder Furz, jedes Glucksen wurde bereitwillig offenbart. »Ist es gesund? Wird alles gelingen? Was kann ich besser tun, und was sollte ich lassen?«
    Olivia hatte allein so viele Fragen
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