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Das Leuchten der schottischen Wälder

Das Leuchten der schottischen Wälder

Titel: Das Leuchten der schottischen Wälder
Autoren: Christa Canetta
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Kapitel 1
    Im Kelvingrove Park von Glasgow waren die Feiern zum Osterfest in vollem Gange, vor allem in jenem Teil des Parks, in dem Lena Mackingtosh und Daniel Finerfield mit Freunden ausgelassen feierten. Sie begrüßten mit Tanz und Irish Ale den Frühling, der hier immer etwas später anfing als im übrigen Land. Das lag natürlich nicht am Klima und auch nicht am Kalender, sondern daran, dass man erst jetzt im Overland Hospital von Glasgow mit den Frühlingsinventuren und den Osterrenovierungen fertig war und ein paar Tage zum Luftholen hatte.
    Lena und Daniel arbeiteten mit acht anderen Ärzten zusammen in der Inneren Abteilung, und mit ihnen und ihren Partnern oder Freunden begingen sie in jedem Jahr das Osterfest im Kelvingrove Park. Ein Ritual, das sehr beliebt war. Jeder brachte Snacks oder Getränke mit, eine batteriebetriebene Stereoanlage sorgte für ausgelassene Stimmung, und dass niemand vor dem Sonnenaufgang das kleine Fest verließ, war Ehrensache.
    Lena und Daniel tanzten wie die anderen fröhlich und barfuß auf der taunassen Wiese und genossen das enge Beieinander, die verführerischen Berührungen, das Gefühl der Zusammengehörigkeit und die heimliche Lust der kleinen Sinnlichkeit.
    Auf den Stationen waren intime Beziehungen verboten, Professor Trabensting duldete keine Affären zwischen seinen Ärzten und Angestellten, und wer Wert auf die begehrte Stellung legte, hielt sich zurück. So hatten Lena und Daniel nicht oft Gelegenheit, unbekümmert die Anordnungen des Chefs zu umgehen.
    „Kommt doch noch mit zu mir“, lud Daniel die Kollegen ein. „Ich habe einen guten Kaffee, und der Bäcker an der Ecke hat bestimmt schon geöffnet.“ Aber alle schüttelten die Köpfe. „Nein, lass mal, jetzt muss ich den Schlaf nachholen, der mir heute Nacht verloren gegangen ist“, witzelte Domian. „Ich muss heute Nachmittag eine Visite mit dem Chef zusammen machen. Wehe, wenn ich da unausgeschlafen erscheine.“
    Auch Lena lehnte, wie die anderen, die Einladung ab. „Ist nett von dir, aber ich muss mich auf einen Vortrag vorbereiten, den ich übermorgen vor Studenten vom Chef halten soll.“
    „Schade.“ Daniel schüttelte enttäuscht den Kopf. „Jedes Jahr dasselbe, erst die ausgelassene Stimmung, und dann geht jeder seiner Wege.“
    „Irgendwann muss Schluss sein“, erkläre William. „War doch ein toller erster Ostertag, und nächstes Jahr gibt’s wieder einen.“
    „Bist du verrückt?“, empörte sich Daniel. „Willst du mit der nächsten Feier etwa ein ganzes Jahr warten?“
    „Nein, war doch bloß ein Scherz.“
    Alle verabschiedeten sich, jeder ging in eine andere Richtung, nur Daniel und Lena verließen den Kelvingrove Park gemeinsam. „Ich bringe dich nach Hause“, erklärte Daniel und schob sein Rad neben das von Lena. Sie waren beide begeisterte Sportler, und wenn es irgend möglich war, ließen sie die Autos in den Garagen und benutzten die Räder.
    Langsam fuhren sie durch den morgendlichen Park, überholten die ersten Jogger, winkten Frühaufstehern zu, die ihre Hunde ausführten, und erreichten wenig später Lenas Wohnung in der Argyle Street. Eigentlich wartete Daniel auf eine Einladung, aber Lena hatte keine Lust, das Zusammensein zu verlängern, das spürte er genau. Schade, dachte er, warum ist sie bloß so reserviert? Eine Tasse Kaffee, ein bisschen Schmusen auf dem Sofa oder ein gemeinsames Bad, aber darauf warte ich bei Lena wohl vergeblich.
    Lena wusste genau, was Daniel dachte. Aber sie ging sehr sorgfältig mit ihren Gefühlen um. Und für Daniel gab es keine Gefühle. Noch nicht! Er war ein netter Kollege, ein guter Kumpel, ein bisschen auch ein Freund, mehr aber noch nicht. Lena war vorsichtig. Sie hasste Risiken, und sie hasste Enttäuschungen. Zweimal hatte sie ein solches Desaster bereits erlebt, und das genügte ihr. Sie schob ihr Rad in den Vorgarten, nahm das Gepäck vom Halter und winkte Daniel lächelnd zu. „Danke fürs Heimbringen. Bis Morgen also, eine Mütze Schlaf wird uns jetzt gut tun.“ Und schon war sie in der Haustür verschwunden.
    Aber aus dem Schlaf wurde nichts. Lena hatte kaum ihre kleine Wohnung in der dritten Etage erreicht, als das Telefon klingelte. Am Apparat war ein Sergeant Marloff von einem Polizeirevier in Barcaldine, der sie dringend persönlich zu sprechen wünschte.
    „Aber Mr. Marloff, ich bin hier in Glasgow. Um was geht es denn?“
    „Ja, aber“, stotterte der Sergeant, „ich habe hier Ihre Telefonnummer, ich – wir
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