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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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gut aussah. Bald würden es die Männer merken. Bis dahin mussten sie Vorbereitungen treffen.
    Als der Wind stärker wurde, war der Wall aufgebaut. Sie hatten sich in Tücher und Decken eingewickelt, die nur einen Schlitz für die Augen ließen. Und bald nicht einmal den, denn gegen den Sand gab es kein Mittel. Man musste hinter dem Stoff atmen, und unter dem Stoff schlugen ängstliche Herzen.
    Jeder Mann kannte Stürme, für keinen war es das erste Mal. Aber mancher Sturm war schwach und wollte nicht auf Touren kommen. Mancher Sturm tobte, als wolle er Löcher in den Himmel reißen und jeden verschlingen, in dessen Adern warmes Blut floss. Ein Heulen, das so klang, als würde der Sand brüllen, füllte die Ohren der Männer. In wenigen Minuten waren sie zugeweht, bedeckt von Sand, der in Mengen heranraste, als würden 1.000 Männer ihn in den Wall schütten. Sie lagen dort, wo der Mann mit dem Federschmuck lag. Die Zier für seinen kahlen Kopf trug er nicht mehr, zusammengerollt ruhte der Lederreif in einer Kiste. Eben war noch Tag gewesen, jetzt war alles düster und diffus, ein grünlich-braunes Leberwurstgrau hatte alle Farben verschluckt. In den Ohren war das Heulen, die Luft war gesättigt mit Sand, das Atmen ging flach und fiel immer schwerer. Wie Kinder vor der Geburt im Leib der Mutter lagen die Männer zusammengekrümmt im Schutz der Kisten. Im Zentrum ihres Kreises lag der Mann, dessen Nähe sie suchten. Er war nicht weniger von Sand bedeckt als alle anderen, dennoch suchten alle seine Nähe. Der Sandsturm heulte. Es gab nur noch dieses Geräusch: laut, wütend und durch das Gleichmaß besonders furchtbar. Es gab keine Hoffnung mehr, kein Auf und Ab, es gab nur noch das Heulen und den Sand.

2
    Lange stand Anna Rosländer am Fenster, die Decke hielt sie vor der Brust zusammen. Langsam beruhigten sich ihr Atem und der Schlag des traurigen Herzens. Jede Nacht kämpfte sie mit der Erinnerung und erwachte jedes Mal keuchend, verschwitzt, voller Angst. Keine Aussicht, danach wieder Schlaf zu finden. In den ersten Nächten hatte sie dagegen gekämpft, mit jeder Minute Schlaflosigkeit war die Verzweiflung gewachsen. Den Fehler beging sie nicht mehr, weil sie einen Weg gefunden hatte, um die Zeit abzukürzen. Sie ging in die Küche hinunter, behutsam setzte sie Schritt auf Schritt, denn die Haushälterin schätzte es nicht, wenn man ihre Arbeit erledigte. Die treue Dienerseele meinte es gut, aber manchmal war es doch eine rechte Last mit ihr, denn sie vertrug keinen Widerspruch und regte sich schnell auf. Anna Rosländer stand vor dem eisernen Herd und rieb die klammen Hände über der Platte. Ihre Hände wollten einfach nicht mehr warm werden. Seit dem Verlust hatte sich vieles geändert. Anna Rosländer war keine alte Frau, mit 48 Jahren zog man nicht ins Witwenstift. Nichts von dem, was sie zurzeit bedrückte, hatte mit ihrem Alter zu tun. Dennoch wünschte sie sich manchmal 15 Jahre zurück, vieles wäre leichter gefallen. Junge Frauen waren oberflächlich. So lästig das manchmal im Umgang mit ihnen fiel, so sehr hätte es ihr jetzt geholfen. Sie sehnte sich nach den zierlichen Sorgen der Jungen: wenn die Kinder ihre Krankheiten bekamen, wenn der Hauslehrer sich als taube Nuss erwies und der Musiklehrer zu viel redete und zu wenig musizierte, wenn die kunstfertigen Tischler endlich mit dem Treppenhaus zurande kamen und die neue Bernsteinkette aus Danzig ihr herrliches Spiel der braunen und gelben Töne zeigte – nichtsnutzige Anlässe, nach denen sich Anna Rosländer sehnte.
    Neugierig öffnete sie die Deckel der beiden Stieltöpfe. Wasser und Brühe. Einen Moment erwog sie, das Wasser mit Rum und Zucker in einen hilfreichen Rum zu verwandeln, und entschied sich dann für Brühe. Der Rum reichte nur bis in den Magen, die Brühe erreichte die entlegensten Verzweigungen des Menschen.
    Plötzlich war da das Geräusch: ein dumpfer Knall, in der stillen Nacht doppelt überraschend. Zwei Minuten später stand sie vor der Tür, in jeder Hand einen Becher.
    » Querner , Querner «, sagte sie leise, fast zärtlich. Sie stellte einen Becher ab und fuhr durch den Haarschopf. Der schlafende Mann brummte, zog Spucke hoch, schluckte, erwachte und fuhr in die Höhe. Der Becher mit der Brühe schwankte, aber er fiel nicht um.
    »Um Gottes willen, die Herrin«, stieß er hervor. Seine Stimme war brüchig, wie sie sich nach dem Erwachen anhört.
    Sie standen sich gegenüber, beschämt der eine, sich ihrer unzulänglichen
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