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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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Bekleidung bewusst die andere. Valentin Querner fuhr sich mit beiden Händen durch die Haare und sah gleich viel manierlicher aus. Der Schreck in den Augen blieb.
    »Das ist mir ja so unangenehm«, murmelte er. »Das ist mir noch nie passiert. Na gut, selten.«
    »Ihr müsst Euch nicht entschuldigen. Warum seid Ihr überhaupt noch hier? Ihr gehört nach Hause um diese Zeit.«
    Er verzichtete darauf, sie an das zu erinnern, was ihr wohl bekannt war. Auf Valentin Querner wartete niemand, keine Frau, keine Eltern, kein Kind. Er lebte in der Mansarde in einem der schlechten Häuser an der Trave. Der Raum war zugig, niedrig, düster. Unfassbar, dass ein dermaßen begabter Arbeiter in solchen Verhältnissen hauste.
    Anna war einmal dort gewesen, als ihm in der Werft der Großmast beinahe das Bein zerschmettert hatte. Sie hatte darauf bestanden, dass Querner in ein Krankenhaus ging. Aber der Kerl war so stur, wie er begabt war. Dreimal täglich war das Hausmädchen die Treppen hinaufgestiegen. Als sie sich weigerte, weil ihr Geruch und Schmutz angeblich auf die Galle schlugen, schickte man den Knecht, und einmal ging Anna persönlich. Nie würde sie das entgeisterte Gesicht des Patienten vergessen, als plötzlich eine vornehme Person bei ihm auftauchte. Anna Rosländer hatte sich den jungen Kerl zur Brust genommen, dass ihm Hören und Sehen vergangen waren. Sie hatte ihn ausgeschimpft wie einen Schüler und ihn aufgefordert, nie mehr so leichtfertig mit seiner Gesundheit umzugehen. Danach hatten sie nie wieder darüber gesprochen, aber ihr Verhältnis war seitdem auf eine Weise privat geworden, dass es manch Drittem aufgefallen war.
    Sie wusste nicht, ob Querner sich seitdem besser ernährte und Rücksicht auf sich nahm. Besser gekleidet war er keineswegs. Er sah so aus, als würde er gerade aus der Werkstatt kommen oder gleich dorthin gehen. Dabei verbrachte er einen immer größeren Teil seiner Zeit im Kontor. Immer wieder fragten auswärtige Werften an, ob der gefragte Techniker bereit sei, für sie zu arbeiten. Zuerst hatte Querner abgesagt, wie es sich gehört, wenn man auf der Lohnliste eines Reeders und Werftbesitzers steht. Doch Rosländer war mit so vielen Kollegen per du und intim, dass er seinem besten Mann praktisch befohlen hatte, sich nicht zu zieren. So kam es, dass Querner für Werften in Wismar, Rostock und Stralsund aktiv geworden war. Morgens um halb sieben erschien er am Arbeitsplatz, und wenn der letzte Kollege abends nach Hause ging, legte Querner die Papiere für den Holk zur Seite und widmete sich einer Galeone – wenn er nicht seiner Leidenschaft frönte, von allen bekannten Schiffstypen das Beste zu nehmen, das Alltägliche zu ignorieren, um auf diese Weise Schiffstypen zu entwerfen, die das Baltische Meer noch nicht gesehen hatte.
    »Mann Gottes, was ist denn das für ein Riese?«, fragte Anna Rosländer und beugte sich über die Zeichnung.
    »Ach, das ist gar nichts«, antwortete Querner und rollte den heißen Becher mit Brühe zwischen den Handflächen hin und her.
    »Dafür, dass es nichts ist, kommt es mir aber ziemlich groß vor.«
    »Man sitzt abends lange im Kontor. Man beginnt zu träumen. Man beginnt zu zeichnen. Eins kommt zum anderen. Am Ende ist das Schiff da. Danach wendet man sich wieder den vernünftigen Dingen zu.«
    Anna Rosländer hatte das Entwerfen nicht gelernt. Aber sie lebte lange genug in diesem Metier, um die wesentlichen Eigenschaften des Schiffs zu erkennen, das auf Querners Papieren stand. Und noch etwas erkannte sie: Es handelte sich nicht um eine Skizze, nebenbei hingeworfen, wie man Gesichter oder Blumen malt, während man sich mit einem Kollegen unterhält. » Querner , das sind 90 Meter. Was denkt Ihr Euch dabei?«
    »Gar nichts. Wie gesagt, rein gar nichts.«
    »Und dass es 3.500 Tonnen Wasser verdrängt und fünf Masten hat, das sagt wohl auch nichts?«
    Er war eingeschüchtert. Vielleicht fand er, dass sie zu aufgeregt und ablehnend redete. Aber so war es nicht. Sie war einfach überrascht. Als sie nach einer halben Stunde in die Küche hinuntergingen, um neue Brühe zu holen und einen Blick in die Speisekammer zu werfen, waren sie mitten im Gespräch. Anna Rosländer trug mittlerweile einen rotschwarzen Hausmantel. Als Rosalia, das Hausmädchen, von den huschenden Geräuschen erwachte, traf sie in der Küche auf zwei Menschen, die sich angeregt über einen Plan beugten, den Rosalia zuerst für den Wochenplan hielt. Sie protestierte sofort, weil sie immer
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