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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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Hebamme gelegen, aber ohne die Hebamme wären sie heute noch ein Paar gewesen, das war amtlich.
    Die fest angestellten Hebammen unterstanden der Aufsicht und Kontrolle des Rates, der diese Pflicht an ein Gremium übertragen hatte, weil sich kein Mann darum riss, mit Einzelheiten dieses Gewerbes befasst zu werden. Von den Hebammen, die der Deichmann unterstanden, hatte eine in der letzten Zeit unrühmlich von sich reden gemacht. Man war ihr auf die Schliche gekommen, dass sie Abtreibungen durchgeführt hatte. Und wenn darin auch solide Mitbürger verwickelt gewesen waren, so konnte diese Hexe nicht gehalten werden, nicht einmal von der Deichmann. Die wusste, wann sie ein Opfer bringen musste, um nicht ihr gesamtes fliegendes Geschwader zu gefährden.
    Gleiwitz konnte der Deichmann seinen Respekt nicht versagen. Wäre sie ein Mann gewesen, wäre er gern mit ihr befreundet gewesen. Aber mit der Deichmann war nicht gut Kirschen essen. Sie besaß einen offenen Blick, hatte nichts Geducktes und Liebedienerisches an sich. Ja, sie tat so, als habe sie das Recht, Stolz auf ihre Profession zu empfinden. Dabei wurden ihre Kolleginnen in anderen Regionen angeklagt und verurteilt, aber die Lübecker hatten nun mal einen Narren an ihr gefressen – die Lübecker Frauen. Denn von den Männern bekannten sich nur zwei Handvoll zu den Hebammen. Allerdings handelte es sich dabei nicht um die kleinsten und gemeinsten. Die Hebammen standen unter höchstem Schutz. Gleiwitz hätte gern gewusst, womit sie diese einflussreichen Männer erpresste, damit die zu ihr hielten. Sicher hatte es mit Abtreibungen zu tun, alle Hebammen führten Abtreibungen durch, so wie jeder Tischler Reparaturen durchführte und jeder Metzger die Schweine seines Nachbarn schlachtete. Hebamme und Abtreibung – das gehörte zusammen wie Möwenschiss und Glück.
    »Ich war in der Nähe«, sagte Trine Deichmann zur Witwe.
    »Da habe ich ja Glück gehabt. Wer ist es denn? Eine unserer leichtfertigen Schwestern?«
    Verdutzt von Annas Offenheit, blickte sich Trine um. In der Tat hatte sie bei einer Hafenhure vorbeigeschaut. Dieser Berufsstand bereitete ihr wenig Sorgen. Huren besaßen eine stabile Gesundheit und neigten nicht dazu, über Wehwehchen zu jammern oder Befürchtungen zuzugeben. Vor allem gab es in der Regel keinen Mann und Vater. Dieser Menschenschlag bereitete Trine Deichmann nicht selten den größten Verdruss. Einerseits hochnäsig, andererseits unwissend, wussten Männer nicht, wie man einer Hebamme gegenübertrat. Zwar fühlten sie Erleichterung, denn die Hebamme übernahm einen Teil der Verantwortung, den die Männer gar zu gern auf deren Schultern abluden. Andererseits gab es auch Vertreter des Männergeschlechts, die sich der Hebamme gegenüber benahmen, als sei sie ihre Mutter, wenigstens eine mütterliche Freundin. Oft handelte es sich dabei um Männer, die zum ersten Mal Vaterfreunden entgegensahen.
    Anna Rosländer beschaffte für die späten Gäste freie Plätze. Nach dem zweiten Becher verloren auch die Arbeitsleute ihre Scheu vor dem Auftrieb vornehmer Herrschaften. Anekdoten machten die Runde, in denen es um Vorfälle und Unfälle beim Bau des Holk ging, der vor den Augen der Festgesellschaft im Wasser dümpelte. Anna hatte unmissverständlich verboten, heute an Arbeit auch nur zu denken. So würde der Innenausbau warten müssen, denn einige ihrer Arbeiter retteten sich in die Arbeit, um nicht reden zu müssen. Dabei war ihre Angst vor einer Blamage unbegründet. Am Tisch saßen nur Menschen vom Fach. So sehr sich mancher Kaufmann und Ratsherr von seiner Dünkelhaftigkeit lenken ließ, so unbezweifelbar war, dass die Arbeiter der Werft Könner waren. Einigen eilte ein trefflicher Ruf voraus, um die besten schwelte ein Kampf der Werftbetreiber. Jeder wollte dem Konkurrenten den Tischler und Segelmacher abwerben. Wenn ein Spezialist von auswärts nach Lübeck übersiedelte, musste er sich um seine berufliche Zukunft keine Sorgen machen. Zwar waren die großen Zeiten der Hanse vorbei, aber Lübeck war keineswegs auf den Stand eines Provinzstädtchens zurückgefallen. Es musste sich den Ruhm der führenden Adressen am Baltischen Meer nur mit mehreren Städten teilen.
    Trine Deichmann aß, für ihre Verhältnisse aß sie sehr viel. Wer sie kannte, wusste, dass dies ein schlechtes Zeichen war. Den meisten Menschen schloss Kummer den Magen zu, Trine begann zu fressen. Das viele Essen bereitete ihr keinen Genuss, aber sie musste dem Drang
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