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Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Die Adler von Lübeck: Historischer Roman

Titel: Die Adler von Lübeck: Historischer Roman
Autoren: Norbert Klugmann
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nachgeben.
    »Wenn sie etwas umsonst kriegen, werden sie munter«, murmelte Ratsherr Gleiwitz .
    Schnabel, der Reeder, arbeitete sich erneut auf Anna Rosländer zu. Das fiel ihm leicht, denn nach dem Essen vertrat man sich die Beine. Anna stand am Kai, Schnabel musste annehmen, dass sie ihr jüngstes Produkt betrachtete. Er konnte nicht wissen, dass Annas Blick weit darüber hinausging.
    »Das war das letzte«, sagte Schnabel.
    Anna schwieg. Sie war nicht überrascht, dass der Kollege und Konkurrent über die Auftragslage ihres Hauses informiert war. Der Holk war in der Tat diejenige Bestellung, die ihr Mann noch zu Lebzeiten aufgenommen hatte. Im Grunde starb er heute den zweiten Tod. Die Rosländer-Werft hatte in den letzten Monaten nicht aufgehört zu arbeiten. Mancher Auftrag war hereingenommen worden, mehr Reparatur als Neubau. Mit seiner nächsten Bemerkung bewies Schnabel, dass er über die Zahlen bestens informiert war. Für ein Handelshaus zwischen Lübeck und Hamburg war ein Schiff auf Kiel gelegt worden, mit einem hiesigen Weinhaus war man fast einig über den Verkauf eines Schiffs von überschaubaren Ausmaßen.
    Schnabel trumpfte mit seinem Wissen nicht auf, ließ es nebenbei einfließen, als sei es das Natürlichste von der Welt, Einblick in die Auftragsbücher der Konkurrenz zu haben.
    »Es gab bessere Zeiten«, gestand Anna Rosländer. »Es gab auch schon schlechtere Zeiten. Geduld gehört zum Geschäft.«
    Schnabel hatte das sichere Gefühl, dass die letzten Worte speziell für ihn ausgesprochen worden waren. Aber Schnabel war nicht zum Stapellauf gekommen, um sich satt zu essen und den Wein der Rosländers zu trinken. Ihm war es um etwas anderes zu tun. Seitdem er gesehen hatte, dass mit Stanjek ein auswärtiger Werftbetreiber Witterung aufgenommen hatte, stand Schnabels Entschluss fest.
    »Ihr habt Ruhe verdient«, sagte er.
    »In meinem Haus war es in der letzten Zeit sehr, sehr ruhig.«
    »Das kann ich mir gut vorstellen«, gestand er eilfertig zu. So sehr Schnabel von der Gier getrieben wurde, so sehr war es ihm darum zu tun, nicht als einer zu erscheinen, der gierig war. Es musste so aussehen, als würde er ein barmherziges Werk tun. Monatelang hatte er darüber nachgedacht, viele Gespräche hatte er darüber geführt: mit Freunden, Kollegen, nicht zuletzt mit Rechtskundigen und keineswegs nur mit Lübeckern. So sehr Schnabel die Hamburger verachtete, so nützlich konnten sie ihm jetzt sein. Eine halbe Tagesreise Abstand schuf die Distanz, die Rat und Urteil sachlicher ausfallen ließen. Außerdem stieg die Chance, dass Anna Rosländer nicht zufällig bei denselben Leuten um Rat nachsuchte.
    Jetzt hatte der Reeder und Werftbetreiber Schnabel eine Entscheidung gefällt. Hatte er zu lange gezögert? War er womöglich nicht der Erste, der mit der Witwe sprechen würde? Die Familien Rosländer und Schnabel hatten sich nie nahe gestanden. Dazu war der Rosländer ein zu wilder Geselle gewesen. Wenngleich Schnabel neidisch zugehört hatte, wenn von den jüngsten Besäufnissen der Rosländers gemunkelt wurde, hatte ihm die frömmlerische Art seiner eigenen Gattin jede Teilnahme verhagelt. »Die sind uns zu ordinär«, lautete einer ihrer Standardsätze. »Wir haben Ansprüche«, lautete ein anderer.
    Zähneknirschend hatte sich Schnabel gefügt – nicht ohne zwischendurch Signale auszusenden, dass er den Kollegen durchaus schätzte. Nie war ein Signal zurückgekommen, Rosländer hatte es nicht mit Etikette und Umgangsformen. Er hatte in der Fluchbüchse unter Zeugen sechs Liter Wein getrunken und im Wettkampf mit einem örtlichen Fischer 28 gebratene Heringe aus der Pfanne gegessen – mitsamt Haut, Kopf und Gräten. Dem Fischer hatte die Hebamme in den Schlund greifen müssen, um ihn davor zu bewahren, an einer Gräte jämmerlich zu ersticken. Es war Joseph Deichmann, Ehemann der Hebamme, der das Lokal betrieb – nicht zu seinem Schaden, denn an seinen Tischen fanden sich vom Kaufmann bis zum Tagelöhner alle Menschen, die eine Lübecker Adresse vorweisen konnten. Mehr verlangte Joseph von seinen Gästen nicht. Dass sie sich anständig benahmen, geschah ganz von allein, wenn auch nicht immer ohne Hinweis der Hebamme. Einem Radaubruder hatte sie ein Messer zwischen zwei Finger gestoßen, seitdem zitterte diese Hand jedes Mal, wenn er der Deichmann im Stadtbild begegnete. Einem anderen hatte sie mit einer Pfanne ein Muster auf die Wange geschlagen, das nie mehr verschwunden war. Einem dritten hatte sie
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