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Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)

Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)

Titel: Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)
Autoren: Viola Bellin
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Kapitel 1
     
    Schatten – Schreie – Blut: Die letzte Nacht war von Albträumen geprägt.
    Mitten in der Nacht wache ich schweißnass auf und zittere am ganzen Körper. Ich wage es nicht mehr einzuschlafen, also setze ich mich an meinen Schreibtisch und beginne zu zeichnen. Das sanfte Geräusch des Bleistiftes, das am Papier entlangstreicht, beruhigt mich immer am meisten.
    Die Albträume hatten vor einigen Wochen angefangen, genau in jener Nacht, als mein Vater angegriffen und halb tot zurückgelassen worden war. Man hatte ihn blutüberströmt und regungslos in einer Gasse unter einer Straßenlaterne gefunden. Seitdem liegt er auf der Intensivstation im Koma und wird künstlich beatmet.
    Es ist immer derselbe Traum: Ich kann diese Erscheinungen nur verschwommen als Schatten erkennen. Es sind viele Schatten um eine Gestalt am Boden, die um ihr Leben fleht. Es regnet, und überall fließt Blut. Am Ende gellt ein quälender, schmerzvoller Schrei durch Mark und Bein. Dann wache ich außer Atem, schweißnass und zitternd zugleich auf. Es fühlt sich so an, als wäre ich diejenige Person, die am Boden liegt und fleht …
    Das Bild beunruhigt mich so, dass ich an nichts anderes mehr zu denken vermag. Ich hebe den Bleistift, der eine genaue Reproduktion der Szene meines Albtraums entstehen ließ: dunkle Gestalten, die einen Kreis um eine am Boden liegende Gestalt bilden. Das Bild strahlt Dunkelheit und Kälte aus. Beim Betrachten zucke ich zusammen. Ich drehe die Zeichnung um und schaue aus dem Fenster. Die Sonne geht langsam auf und verheißt einen wunderschönen Sonntagmorgen.
    Das Telefon klingelt. Ich frage mich, wer um diese Zeit anrufen sollte. Kurz darauf kommt meine Mutter in mein Zimmer. Sie ist noch ganz verschlafen, trotzdem trägt ihr Gesicht einen besorgten Ausdruck. Sichtlich überrascht, mich nicht schlafend vorzufinden, sondern am Schreibtisch zu solch einer frühen Zeit an einem Sonntag, sagt sie nur, ich solle mich anziehen. Das Krankenhaus habe angerufen und bitte meine ganze Familie, so schnell wie möglich zu kommen. Ich habe ein ungutes Gefühl. Letzte Nacht war der Albtraum noch viel intensiver gewesen als sonst: Es hat sich alles so echt angefühlt!
     
    Das Krankenhaus ist mir nur zu gut vertraut. In den letzten Wochen haben sich meine Familie und ich uns länger hier als zu Hause aufgehalten. Die Intensivstation befindet sich in der ersten Etage. Kurz vor dem Eingang kommt mir der strenge Geruch von Desinfektionsmitteln entgegen. Nach kurzer Zeit gewöhnt man sich daran, doch stickig bleibt es trotzdem. Ich stelle mich darauf ein, den grünen Schutzkittel, den engen Mundschutz und die Einmalhandschuhe anzuziehen, was die Infektionsübertragung verhindern soll. Doch an diesem Tag werden wir gebeten, uns im Wartebereich zu gedulden. In den Arztserien im Fernsehen, die meine Mutter gerne schaut, verheißt es nie etwas Gutes, in den Wartebereich zu gehen. Irgendetwas muss passiert sein, und ich ahne das Schlimmste.
    Kurz darauf kommt der behandelnde Arzt persönlich. Dr. Russo, der immer freundliche, gelassene und sympathische Arzt, blickt diesmal gequält.
    »Eva, Fabio …«, setzt er an und schaut erst mir und dann meinem Bruder Fabio in die Augen. Dann atmet er tief ein und schaut endlich zu meiner Mutter.
    »… Signora Riccardi, es tut mir leid, Ihnen das mitteilen zu müssen, doch Commissario Giuliano Riccardi hat es nicht geschafft. Wir haben unser Möglichstes getan,
    doch …«
    Dr. Russo spricht weiter, aber ich verstehe kein Wort mehr. Meine Welt, in der alles gut werden würde und alle wie früher weiterleben würden, bricht wie ein wackeliges Kartenhaus zusammen. Das muss ein Irrtum sein: Mein Vater ist nicht tot. Denn er ist im besten Krankenhaus Roms untergebracht und in der Obhut der besten Ärzte Italiens. Ich kann es einfach nicht fassen, dass das Menschenmögliche nicht ausgereicht haben soll, ihm das Leben zu retten.
    Meine Mutter hakt sich bei mir und meinem Bruder ein. Ihr Gesicht ist bleich und ausdruckslos. Wir dürfen meinen Vater ein letztes Mal sehen, bevor er endgültig weggebracht wird. Der Weg über den sonst so vertrauten Krankenhausflur verwandelt sich in den wohl längsten Gang meines Lebens. Ich fühle mich von den sterilen, weißen Wänden erdrückt, und es scheint mir, als würde ich nie ankommen. Ist überhaupt alles real? Geschieht es wirklich, oder ist das nur wieder ein schrecklicher Albtraum, der sich verdammt echt anfühlt? Die Tür zu seinem Zimmer steht
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