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Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
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aussiehst, kannst du keine zwei Schritte weit gehen.«
    Während Harry diesem Rate mechanisch Folge leistete, kniete der Gärtner nieder, raffte hastig die zerstreuten Juwelen zusammen und brachte sie wieder in die Schachtel. Bei der Berührung der kostbaren Steine ging ein Beben durch den muskulösen Körper des Mannes, sein Gesicht verzerrte sich, und aus seinen Augen schossen gierige Blicke; wollüstig schien er seineArbeit in die Länge zu ziehen und betastete zärtlich jeden Diamanten, der ihm unter die Hände kam. Aber schließlich war er doch fertig damit; er versteckte die Schachtel unter seinem Kittel, forderte Harry auf, ihm zu folgen, und schritt ihm auf das Haus zu voran.
    Unweit der Tür trafen sie einen offenbar dem geistlichen Stande angehörigen jungen Mann von dunklem Teint und auffallender Schönheit; in seinem Ausdruck lag ein Gemisch von Weichheit und Entschlossenheit, und sein Anzug zeigte die seinen Standesgenossen eigene Nettigkeit. Ohne Zweifel war dem Gärtner die Begegnung unangenehm, aber er machte möglichst gute Miene dazu und wandte sich lächelnd und mit freundlichen Worten an den Geistlichen.
    »Das ist mal ein schöner Nachmittag, Herr Rolles,« sagte er, »ein schöner Nachmittag, so gewiß ihn Gott gemacht hat! Und hier ist ein junger Freund von mir, der gern meine Rosen sehen wollte. Ich war so frei, ihn hier hereinzubringen, denn ich dachte, es würde keiner von den Bewohnern was dagegen haben.«
    »Ich für meine Person ganz und gar nicht, Herr Raeburn,« versetzte der Prediger. »Doch mir scheint es fast,« fügte er hinzu, »daß ich den Herrn schon früher gesehen habe. Herr Hartley, denke ich. Ich sehe mit Bedauern, daß Sie einen Fall getan haben.« Dabei reichte er seine Hand hin.
    Ein unklares Gefühl mädchenhafter Scheu und der Wunsch, der Notwendigkeit einer Auseinandersetzung aus dem Wege zu gehen, bewogen Harry, von dieser Möglichkeit fremden Beistandes keinen Gebrauch zumachen und seine eigne Person zu verleugnen. Er wollte sich lieber der Gnade eines ihm Fremden als der Neugier und etwaigen Zweifeln eines Bekannten überlassen.
    »Ich fürchte, da liegt ein Irrtum vor,« sagte er. »Mein Name ist Thomlinson, und ich bin ein Freund dieses Herrn.«
    »Wirklich?« sagte Herr Rolles. »Die Ähnlichkeit ist erstaunlich.«
    Herr Raeburn, der während dieser Unterhaltung wie auf Kohlen gestanden hatte, fühlte, daß es hohe Zeit sei, weiteren Auseinandersetzungen ein Ende zu machen.
    »Ich wünsche Ihnen einen vergnüglichen Spaziergang,« sagte er zu Herrn Rolles.
    Und damit zog er Harry mit sich in das Haus und in ein nach dem Garten führendes Zimmer. Seine erste Sorge war, sofort die Fensterläden zu schließen, denn Herr Rolles stand immer noch mit erstauntem Gesicht und in Nachdenken versunken an derselben Stelle, wo sie ihn gelassen hatten. Dann leerte er die zerbrochene Schachtel auf den Tisch und stand nun, die Hände an den Schenkeln reibend und mit dem Ausdruck habsüchtiger Gier in den Augen, vor dem offen ausgebreiteten Schatze. Harry verursachte der Anblick des von gemeiner Leidenschaft beherrschten Gesichtes eine neue Pein. Es schien ihm fast unglaublich, daß er mit einem Atemzug aus einem Dasein voll reiner und zarter Interessen in einen Knäuel schmutziger und verbrecherischer Beziehungen verwickelt sein sollte. Nichts Schlechtes hatte ihm seinGewissen vorzuwerfen, und doch erlitt er die Strafe für schlechte Taten in ihrer schärfsten und grausamsten Form: die Angst vor Strafe, den Argwohn der Guten und die schimpfliche Gemeinschaft gemeiner und roher Naturen. Er fühlte, er hätte mit Freuden sein Leben opfern können, um aus dem Zimmer und der Gesellschaft Raeburns zu entkommen.
    »Und nun,« sagte der letztere, nachdem er die Kleinode in zwei nahezu gleiche Teile geteilt und den einen näher an sich herangezogen hatte, »alles auf der Welt hat seinen Preis und manches einen recht schönen. Sie müssen wissen, Herr Hartley, wenn das Ihr Name ist, daß ich ein sehr schwacher und willfähriger Mensch bin; Gutmütigkeit ist von A bis Z meine schwache Seite gewesen. Ich könnte diese kleinen Steine allesamt einsacken, wenn ich wollte, und ich muß wohl an Ihnen einen Narren gefressen haben, denn ich bring's nicht fertig, Sie so über den Löffel zu barbieren. So, sehen Sie, mache ich aus bloßer Gutherzigkeit den Vorschlag zu teilen, und das,« hierbei zeigte er auf die beiden Haufen, »scheint mir eine billige Teilung zu sein. Haben Sie was dagegen, Herr
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