Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
Selbstachtung in gleicher Weise abgehen. Es bleibt für Sie, soviel ich sehe, nur eins übrig – schleunigst zu verschwinden, womöglich auf Nimmerwiedersehen. Was Ihren rückständigen Lohn anlangt, so können Sie die Zahl der Gläubiger meines verflossenen bankerotten Gemals um eins vermehren.«
    Harry war kaum das Verständnis dieser beleidigenden Anrede aufgegangen, als der General aufs neue gegen ihn losdonnerte.
    »Und inzwischen,« sagte dieser, »folgen Sie mir gefälligst zum nächsten Polizeiinspektor. Sie können einen geradsinnigen Soldaten betrügen, aber das Auge des Gesetzes wird in Ihr schändliches Lügengewebe eindringen. Wenn ich meine alten Tage durch Ihre geheimen, im Bunde mit meiner Frau betriebenen Machenschaften in Armut verbringen muß, so soll, denke ich, Ihre Mühe wenigstens nicht unvergolten bleiben, und der Himmel würde mir eine sehr annehmbare Genugtuung versagen, wenn Sie nicht von nun an bis ans Ende Ihrer Tage Werg zupfen müßten.«
    Hierauf packte der General Harry am Arme, zerrte ihn die Treppe hinunter und schleppte ihn zur nächsten Polizeistation.

Zweites Kapitel
Die Geschichte des Gottesmannes
    Der hochwürdige Herr Simon Rolles hatte sich in den theologischen Wissenschaften ausgezeichnet und im Studium der Gottesgelahrtheit ungewöhnliche Fortschritte gemacht. Seine Abhandlung »Über das Christentum und die sozialen Pflichten« verschaffte ihm eine gewisse Berühmtheit an der Universität Oxford, und man erzählte sich in geistlichen und gelehrten Kreisen, der junge Rolles sei mit einem umfangreichen Werk – man sprach von mehrerenBänden – über die Autorität der Kirchenväter beschäftigt. Doch verhalfen ihm diese Leistungen und ehrgeizigen Pläne keineswegs zu schnellerem Fortkommen, und er wartete immer noch auf seine erste Pfarrstelle, als ihn ein zufälliger Spaziergang im westlichen Teile Londons, der Anblick des stillen, schönen Gartens, der Wunsch nach ungestörter Muße und die Billigkeit der Wohnung bewogen, bei Herrn Raeburn, dem Gärtner in der Stockdove-Straße, Wohnung zu nehmen.
    Jeden Nachmittag pflegte er, nachdem er sieben oder acht Stunden dem Studium des heiligen Ambrosius oder Chrysostomus gewidmet hatte, sich eine Weile, in Nachsinnen verloren, zwischen den Rosen zu ergehen. Und diese Minuten gehörten zu den fruchtbarsten seines Tagewerkes. Aber selbst eine wirkliche Freude an der Gedankenarbeit und das Interesse an schwierigen, ihrer Lösung harrenden Problemen vermögen nicht immer den Geist des Philosophen von den kleinlichen Dingen dieser Welt fernzuhalten. Als daher Herr Rolles General Vandeleurs Sekretär zerrissen und blutig in der Gesellschaft seines Hausherrn fand, als er beide die Farbe wechseln sah und sie seinen Fragen auszuweichen suchten, und vor allem, als Herr Hartley mit dreister Stirn seine eigene Person verleugnete, vergaß er sofort, von ganz gewöhnlicher Neugier geplagt, alle Heiligen und Kirchenväter.
    Es ist kein Irrtum möglich, dachte er. Zweifellos ist das Herr Hartley. Wie kommt er in diesen sonderbaren Zustand? Warum nimmt er einen andernNamen an, und was kann er nur mit meinem Hauswirt, diesem verdächtigen Gesellen, zu tun haben?
    Während dieser Erwägungen erregte noch ein weiterer auffallender Vorfall seine Aufmerksamkeit. Herr Raeburns Gesicht zeigte sich an einem Fenster dicht bei der Tür, und seine Augen begegneten denen des Theologen. Der Gärtner schien verlegen, ja beunruhigt, und gleich darauf wurden die Fensterläden heftig zugeschlagen.
    Das kann ja alles ganz harmlos sein, überlegte Herr Rolles, es kann gar nichts zu bedeuten haben; aber ich gestehe offen, daß ich das nicht glaube. Verdächtig, heimlich, unwahr, voll Furcht vor Beobachtung – ich glaube meiner Seele, dachte er, das Paar plant irgend etwas Schändliches.
    Der Geheimpolizist, der in uns allen lebt, erwachte in Herrn Rolles' Herzen und verlangte sein Recht; und mit lebhaftem, eiligem Schritt, der seinem gewöhnlichen Gange ganz unähnlich war, schritt er auf den Gartenwegen dahin. Als er zu dem Schauplatze von Harrys Kopfsprung kam, fiel sein Auge sogleich auf einen abgebrochenen Rosenzweig und tiefe Fußspuren auf der zertretenen Gartenerde. Beim Aufschauen bemerkte er Kratzer an der Mauer und einen Tuchfetzen an einem Glasscherben. Auf diese Weise war also Herrn Raeburns sonderbarer Freund eingedrungen! Diesen Weg wählte General Vandeleurs Sekretär zur Besichtigung eines Blumengartens. Der junge Geistliche pfiff leise vor sich
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher