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Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
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einer für seinen Seelenfrieden verhängnisvollen Stunde die Sammlungen eines indischen Fürsten. Hier erblickte er einen Diamanten von so außerordentlicher Größe und Schönheit, daß er von diesem Moment an nur noch einen Wunsch im Leben hatte: Ehre, Ruf, Freundschaft, Vaterlandsliebe, alles war er bereit, für dieses Stück funkelnden Kristalls zu opfern. Drei Jahre diente er dem halbbarbarischen Machthaber, wie Jakob dem Laban diente; er fälschte Grenzlinien, er ließ Mordtaten geschehen, er verurteilte ungerechterweise einen Kameraden zum Tode, der das Unglück hatte, durch freimütige Äußerungen das Mißfallen des Rajahs zu erregen, endlich verriet er zu einer Zeit, als sein Vaterland in großer Gefahr war, eine Abteilung englischer Soldaten, so daß ein paartausend besiegt und hingeschlachtet wurden. Am Ende hatte er ein gewaltiges Vermögen zusammengescharrt und konnte auch den begehrten Diamanten mit in sein Heimatland nehmen.
    Jahre vergingen,« fuhr der Prinz fort, »und schließlich geht der Edelstein verloren. Er fällt in die Hände eines einfachen, fleißigen Jünglings, eines Kandidaten der Theologie, der soeben eine Laufbahn antritt, die ihn zu nützlicher und bei seinen Gaben sicher hochbefriedigender Tätigkeit führen soll. Auch er gerät in den Zauberbann des Steines; er läßt alles im Stich, seinen heiligen Beruf, seine Studien und flieht mit dem Juwel in ein fremdes Land. Der Offizier hat einen Bruder, einen verschlagenen, verwegenen, vor keinem Mittel zurückschreckenden Mann, der das Geheimnis des Geistlichen erfährt. Was tut er? Sagt er's dem Bruder, oder meldet er's der Polizei? Nein, auch er ist dem teuflischen Reize verfallen, er muß den Stein selbst besitzen. Auf die Gefahr, einen Mord zu begehen, betäubt er den jungen Priester und bemächtigt sich der Beute. Und nun kommt das Juwel durch einen Zwischenfall, der für die Moral meiner Geschichte keine Bedeutung hat, in die Verwahrung eines andern Mannes, der das Kleinod, von seinem Anblick erschreckt, einem Wanne in hoher Stellung und von unantastbarer Ehre gibt.
    Der Offizier heißt Thomas Vandeleur,« fuhr Florisel fort. »Der Edelstein ist der Diamant des Rajahs. Und« – plötzlich seine Hand öffnend – »hier sehen Sie ihn vor Ihren Augen.«
    Der Beamte fuhr mit einem Aufschrei zurück.
    »Für mich ist dieser Klumpen von leuchtendem Kristall,« fuhr der Prinz fort, »so ekelhaft, als wäre er von Leichenwürmern erfüllt; er entsetzt mich, als bestände er ganz aus unschuldig vergossenem Blute. Ich sehe ihn hier in meiner Hand, und ich weiß, es brennt in ihm ein höllisches Feuer. Ich habe Ihnen nur den hundertsten Teil seiner Geschichte erzählt; was sich in früheren Zeiten zutrug, zu welchen Verbrechen und Verrätereien er vormals die Menschen anreizte, das auszudenken sträubt sich die Einbildungskraft. Unendliche Jahre lang hat er den satanischen Wächten treu gedient. Es ist, sage ich, nun endlich genug des Blutes, genug der Schande, genug der zertretenen Leben und verratenen Freundschaften. Alles hat sein Ende, das Böse wie das Gute, die Pest so gut wie schöne Musik; und was den Diamanten betrifft, so vergebe mir Gott, wenn ich unrecht tue, aber seine Herrschaft endet in dieser Nacht.«
    Der Prinz machte eine plötzliche Bewegung mit seiner Hand, und das Juwel, dessen Bahn ein Lichtbogen bezeichnete, tauchte platschend ins Wasser.
    »Amen!« sagte Florisel ernst. »Ich habe einen Basilisken erschlagen.«
    »Gott verzeih' mir!« rief der Geheimpolizist. »Was haben Sie getan? Ich bin verloren!«
    »Ich glaube,« erwiderte der Prinz lächelnd, »viele wohlhabende Leute in dieser Stadt würden wünschen, ebenso verloren zu sein.«
    »Ach, Eure Hoheit!« sagte der Beamte; »was tun Sie mit mir! Sie werden mich am Ende doch bestechen.«
    »Es scheint weiter nichts übrigzubleiben,« entgegnete Florisel. »Und nun vorwärts zur Präfektur!«
    Nicht lange darauf wurde die Hochzeit Franz Scrymgeours und des Fräuleins Vandeleur in aller Stille gefeiert, wobei der Prinz als Brautführer mitwirkte. Den beiden Vandeleurs kam ein Gerücht von dem Schicksal des Diamanten zu Ohren, und ihre großartigen, aber ganz ergebnislosen Tauchversuche in der Seine bereiteten den schaulustigen und erstaunten Parisern viel Vergnügen.
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