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Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
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den Boulevards zu.
    Jetzt lagen die Würfel anders. Wenn der Diktator der Stärkere war, so besaß dafür Franz in der Blüte seiner Jugend schnellere Füße und war bald nach Überholung anderer Straßengänger vor seinem Verfolger sicher. Von dieser dringendsten Sorge befreit, aber voll Bestürzung und Unruhe wegen seines letzten Erlebnisses, ging er schnellen Schrittes vorwärts, bis er auf den von elektrischen Lichtern tageshell beleuchteten Opernplatz gelangte.
    Wenigstens damit, dachte er, würde Fräulein Vandeleur zufrieden sein.
    Er wandte sich dann zur Rechten und trat nach einer Weile in das Amerikanische Café, wo er sich ein Glas Bier bestellte. Nur zwei oder drei Männer saßen im Gastzimmer zerstreut und vereinzelt an den Tischen, und Franz war zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um sie zu beachten.
    Er zog das Taschentuch hervor. Der eingewickelte Gegenstand erwies sich als ein feines Lederfutteral mit goldenem Verschluß, der sich durch Druck auf eine Feder öffnen ließ und vor den Augen des entsetzten jungen Mannes einen Diamanten von unerhörter Größe und außerordentlichem Feuer enthüllte. Dies war etwas so Unbegreifliches und der Wert des Edelsteins so ungeheuer, daß Franz eine Weile bewußtlos dasaß und das Geschmeide anstarrte wie ein Mensch, der plötzlich seinen Verstand verloren hat.
    Da legte sich leicht, aber fest eine Hand auf seineSchulter, und eine ruhige Stimme, die aber etwas Gebieterisches in sich hatte, ließ folgende Worte in sein Ohr und sein wieder zum Bewußtsein zurückkehrendes Hirn dringen:
    »Machen Sie das Futteral zu und zeigen Sie ein gefaßteres Gesicht!«
    Er schaute auf und gewahrte einen noch jungen Mann von vornehmem und ruhigem Wesen, der reich und doch einfach gekleidet war. Dieser Herr war vom Nebentische aufgestanden und hatte sich, sein Glas in der Hand, neben Franz gesetzt.
    »Machen Sie das Futteral zu,« wiederholte der Fremde, »und stecken Sie es ruhig wieder in Ihre Tasche, wo es sich, wie ich fest überzeugt bin, niemals hätte befinden sollen. Versuchen Sie auch, bitte, eine weniger verstörte Miene zur Schau zu tragen, und tun Sie, als wäre ich ein Bekannter von Ihnen, den Sie zufällig getroffen haben. So! Stoßen Sie mit mir an! Das ist besser. Wir scheint's, mein Herr, Sie betreiben die Beschäftigung nur aus Liebhaberei, nicht als Handwerk.«
    Der Fremde begleitete diese letzten Worte mit einem eigentümlichen, vielsagenden Lächeln, lehnte sich in seinen Sitz zurück und tat mit Behagen einen kräftigen Zug an seiner Havanna.
    »Um Gottes willen,« rief Franz, »sagen Sie mir, wer Sie sind und was das zu bedeuten hat. Warum ich Ihren merkwürdigen Zumutungen folgen soll, sehe ich gar nicht ein, aber es ist mir in der Tat heute abend so viel Sinnverwirrendes widerfahren, und alle Leute, mit denen ich zusammenkomme, benehmen sich so sonderbar,daß ich glaube, ich muß entweder den Verstand verloren haben oder auf einen andern Planeten geraten sein. Ihr Gesicht flößt mir zudem Vertrauen ein, Sie scheinen mir weise, gut und erfahren zu sein; um's Himmels willen, sagen Sie, warum Sie mir in so ungewöhnlicher Weise entgegentreten.«
    »Alles zu seiner Zeit,« versetzte der Fremde. »Aber ich habe die Vorhand, und Sie müssen mir zuerst erzählen, wie der Diamant des Rajahs in Ihre Hände gekommen ist.«
    »Der Diamant des Rajahs!« gab Franz zurück.
    »Ich würde nicht so laut sprechen, wäre ich an Ihrer Stelle,« sagte der andere. »Aber ohne Zweifel haben Sie den Diamanten des Rajahs in Ihrer Tasche. Ich habe ihn wohl ein dutzendmal in Sir Thomas Vandeleurs Sammlung gesehen und in Händen gehabt.«
    »Sir Thomas Vandeleur! Der General! Mein Vater!« rief Franz.
    »Ihr Vater?« wiederholte der Fremde. »Meines Wissens hatte der General keine Kinder.«
    »Ich bin ein außereheliches Kind,« versetzte Franz errötend.
    Der andere verbeugte sich mit Würde und Achtung wie vor seinesgleichen, was Franz Erleichterung und Trost gewährte, er wußte selbst nicht, warum. Die Gesellschaft dieses Mannes tat ihm wohl; er glaubte endlich festen Grund unter den Füßen zu haben, und von hoher Achtung erfüllt, zog er unwillkürlich seinen Hut, wie wenn er sich in Gegenwart eines Vorgesetzten befände.
    »Wie ich sehe,« sagte der Fremde, »sind Ihre Abenteuer nicht eben friedlich abgelaufen. Ihr Kragen ist zerrissen, ihr Gesicht ist zerkratzt, und Sie haben einen Schnitt an der Schläfe. Sie entschuldigen vielleicht meine Neugier, wenn ich
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