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Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
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überflüssiger Warner eingriff? Wenn es aber ernst gemeint war, so war der Verbrecher vielleicht sein eigener Vater, und müßte er es dann nicht bitter beklagen, seinen Erzeuger ins Verderben gestürzt zu haben? Er preßte sich fest an die Fensterläden, sein Herz pochte laut und unregelmäßig, und er fühlte einen starken Schweiß an seinem Körper ausbrechen.
    Mehrere Minuten vergingen.
    Es kam ihm vor, als ob die Unterhaltung immer weniger lebhaft würde, aber noch bemerkte er kein weiteres beunruhigendes Zeichen.
    Auf einmal vernahm er das Klirren eines zerbrochenenGlases und darauf ein schwaches dumpfes Geräusch, wie wenn jemand mit dem Kopf gegen den Tisch gefallen wäre. Zugleich ließ sich ein durchdringender Schrei hören.
    »Was hast du getan?« rief Fräulein Vandeleur. »Er ist tot.«
    Der Diktator stieß leise, aber so scharf und heftig, daß der Lauscher am Fenster jedes Wort verstehen konnte, zwischen den Zähnen hervor:
    »Still! Der Mann ist so gesund wie ich. Fass' du ihn an den Fersen, während ich ihn an den Schultern nehme.«
    Franz hörte, wie Fräulein Vandeleur in heftiges Schluchzen ausbrach.
    »Hörst du, was ich sage?« nahm der Diktator wieder in gleicher Weise das Wort. »Oder willst du mit mir Streit anfangen? Wie, ist das deine Absicht?«
    Hierauf trat von neuem eine Pause ein, bis der Diktator wiederholte:
    »Nimm den Mann bei den Fersen. Ich muß ihn ins Haus bringen. Wäre ich ein wenig jünger, so würden mir meine eigenen Kräfte genügen. Jetzt aber, wo mir Alter und Gefahren zusetzen und meine Hände schwächer geworden sind, bedarf ich deines Beistandes.«
    »Es ist ein Verbrechen,« erwiderte das Mädchen.
    »Ich bin dein Vater,« sagte Herr Vandeleur.
    Diese Berufung auf die Kindespflicht des Gehorsams schien ihre Wirkung nicht zu verfehlen. Es machte sich ein scharrendes Geräusch auf dem Kies vernehmbar, ein Stuhl wurde umgeworfen, und nunsah Franz Vater und Tochter über den Weg stolpern und mit dem leblosen Körper des Herrn Rolles unter der Veranda verschwinden. Der junge Geistliche war völlig bleich, sein Kopf schwankte bei jedem Schritte hin und her.
    War er lebendig oder tot? Franz neigte sich trotz der Erklärung des Diktators der letzteren Ansicht zu. Ein großes Verbrechen war begangen worden; großes Unheil schwebte über den Bewohnern des Hauses mit den grünen Jalousien. Zu seinem eigenen Erstaunen wurde sich Franz bewußt, daß all sein Schauder vor der Untat unterging in der Besorgnis um das Mädchen und den alten Mann, die ihm in höchster Gefahr zu schweben schienen. Eine Sturmflut hochherzigen Mitgefühls überschwemmte sein Herz, auch er wollte seinem Vater beistehen gegen Erde und Himmel, gegen Schicksal und Gerechtigkeit, und er stieß die Läden auf, schloß die Augen und warf sich mit ausgebreiteten Armen in das Laubwerk des Kastanienbaumes.
    Ein Zweig nach dem andern wich unter dem Drucke seines Körpers beiseite oder brach, dann kam ein kräftiger Ast unter seine Achselhöhle; eine Sekunde blieb er so hängen, und hierauf ließ er sich fallen und stieß ziemlich heftig gegen den Tisch. Ein lauter Schrei vom Hause her sagte ihm, daß sein Erscheinen nicht unbemerkt geblieben sei. Mit einem Ruck war er wieder auf den Füßen, und drei Sätze brachten ihn vor die Verandatür.
    In einem kleinen mit Matten belegten Gemache, an dessen Wänden sich ringsum polierte Sammelkästenbefanden, stand Herr Vandeleur, über Herrn Rolles' Körper geneigt. Als Franz eintrat, richtete er sich auf, und zugleich erfolgte eine schnelle Bewegung von Hand zu Hand. Es war das Werk einer Sekunde, im Augenblick war es geschehen, der junge Mann hatte keine Zeit, sich darüber zu vergewissern, aber es schien ihm, als hätte der Diktator etwas von der Brust des Daliegenden genommen, einen kurzen Moment darauf geschaut und es dann hastig seiner Tochter zugesteckt.
    Dies hatte sich alles abgespielt, während Franz noch mit einem Fuß auf der Schwelle stand und den andern aufhob. Im nächsten Augenblick lag er vor Herrn Vandeleur auf den Knien.
    »Vater,« rief er, »nehmen Sie auch meine Hilfe an. Ich will tun, was Sie verlangen, ohne zu fragen. Mein Leben gebe ich für Sie hin; erkennen Sie mich als Ihr Kind an, und Sie werden in mir einen ergebenen, liebevollen Sohn finden.«
    Ein schrecklicher Ausbruch von Flüchen war des Diktators erste Erwiderung.
    »Sohn und Vater?« schrie er; »Vater und Sohn? Was für eine verdammte Komödie ist denn das? Wie kommen Sie in meinen
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