Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
Vom Netzwerk:
Bereich der Menschen entfernen? Diese schwierige Frage ließ sich nicht im Augenblick entscheiden. Die Art, wie das Geschmeide in seine Hände gekommen war, schien ihm offenbar ein Werk der Vorsehung zu sein, und als er das Juwel herausnahm, beim Scheine der Straßenlampe betrachtete und seine Größe und seinen wunderbaren Glanz sah, verstärkte sich in ihm nur noch mehr die Meinung von der verhängnisvollen und gefährlichen Wirkung des Edelsteins.
    Gott steh mir bei! dachte er; wenn ich noch viel öfter darauf sehe, so wird schließlich auch in mir die Gier danach erweckt.
    Zuletzt wandte er, obwohl noch immer unentschlossen, seine Schritte zu einem kleinen, aber prächtigen Gebäude am Steinufer, das seit Jahrhunderten das Eigentum seiner königlichen Familie gewesen war.
    Als er sich der hinteren Tür näherte, trat ihm aus dem Schatten des Hauses ein Mann entgegen und sprach mit tiefer Verbeugung:
    »Ich habe die Ehre, den Prinzen Florisel von Böhmen zu sprechen?«
    »Das ist mein Titel,« lautete die Antwort. »Was wollen Sie?«
    »Ich bin,« sagte der Mann, »Geheimpolizist und habe Eurer Hoheit dieses Schreiben vom Polizeipräfekten zu überreichen.«
    Der Prinz nahm den Brief und überflog ihn beim Scheine der Straßenlaterne. Er war in den höchsten Wendungen abgefaßt, sprach aber das Ersuchen aus, dem Träger sofort auf die Präfektur zu folgen.
    »Kurz,« sagte Florisel, »ich bin verhaftet.«
    »Eure Hoheit,« versetzte der Beamte, »seien Sie überzeugt, nichts liegt dem Präfekten ferner. Sie sehen, er hat keinen Verhaftsbefehl ausgestellt. Es handelt sich um eine bloße Förmlichkeit oder, wenn Sie lieber wollen, um eine Gefälligkeit, die Eure Hoheit den Behörden zu erweisen gebeten werden.«
    »Wenn ich es nun aber ablehne, Ihnen zu folgen?«
    »Ich will Eurer Hoheit nicht verhehlen,« erwiderte der Beamte auf diese Frage mit einer Verbeugung, »daß mir in weitem Spielraum Vollmacht verliehen ist.«
    »Auf mein Wort,« rief Florisel, »Ihre Dreistigkeit nimmt mich wunder. Ihnen, der nur ein Werkzeug ist, muß ich verzeihen, aber Ihre Vorgesetzten sollen für ihren Mißgriff schwer büßen. Haben Sie eine Ahnung davon, was die Veranlassung zu diesem verfassungswidrigen und unpolitischen Vorgehen gegeben hat? Beachten Sie wohl, daß ich bisher weder eingewilligtnoch abgelehnt habe, und es wird viel von Ihrer sofortigen und befriedigenden Antwort abhängen. Vergessen Sie nicht, daß es sich hierbei um eine ernste Sache handelt.«
    »Eure Hoheit,« sagte der Polizist ehrerbietig, »General Vandeleur und sein Bruder haben die unglaubliche Anmaßung gehabt, Sie des Diebstahls zu bezichtigen. Der berühmte Diamant, sagen sie, sei in Ihren Händen. Ein einziges Wort Ihrerseits wird dem Präfekten vollauf Genüge leisten; ja, ich gehe noch einen Schritt weiter. Wenn Eure Hoheit einem Subalternen die Ehre antun wollen, mir gegenüber zu erklären, daß Ihnen von der Sache nichts bekannt sei, so würde ich sofort um die Erlaubnis bitten, mich wieder zurückziehen zu dürfen!«
    Sobald er Vandeleurs Namen hörte, ward sich der Prinz der ganzen Unannehmlichkeit und Gefahr seiner Lage bewußt. Er war nicht nur verhaftet, er war auch schuldig. Was sollte er sagen? Was sollte er tun? Der Diamant des Rajahs war in der Tat ein fluchbeladener Stein, und es schien, als sollte er selbst sein letztes Opfer sein.
    Eins stand fest. Er konnte dem Beamten die gewünschte Versicherung nicht geben. Er mußte Zeit gewinnen.
    Sein Zögern hatte keine Sekunde gedauert.
    »Sei es denn,« sagte er, »wir wollen zur Präfektur gehen.«
    »Wir sind jetzt,« sagte Florisel nach einigen Schritten, »mitten auf der Brücke. Lehnen Sie sich auf die Brüstung und schauen Sie hinüber. Wie das Wasserdort unten dahinrauscht, so spülen im Leben Leidenschaften und Verwicklungen die Ehre schwacher Menschen mit sich fort. Hören Sie eine Geschichte!«
    »Wie Eure Hoheit befehlen!«
    Und der Beamte lehnte sich, dem Beispiele des Prinzen folgend, gegen die Brüstung und lauschte der Erzählung.
    Schon war die gewaltige Stadt in Schlummer gesunken, und ohne die zahllosen Lichter und die vom sternhellen Himmel sich abhebenden Umrisse der Gebäude hätten die beiden glauben können, sich an einem einsamen Flusse auf dem Lande zu befinden.
    »Ein Offizier,« begann der Prinz seine Erzählung, »ein mutiger, tüchtiger Mann, der bereits einen hohen Rang erklommen und sich nicht nur Bewunderung, sondern auch Achtung erworben hatte, besichtigte in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher