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Taubenkrieg

Taubenkrieg

Titel: Taubenkrieg
Autoren: S Lüpkes
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|7| Die Eins
steht als Zahl für den Anfang und die Einmaligkeit
    Der Tatort ist eine Landschaft.
    Unberührte Natur, wenn man ihn vernünftig abgesperrt hat. Chaotisches Dickicht oder unwegsames Gelände. An einigen Stellen aber auch aufgeräumt, übersichtlich, nahezu einladend: Komm her und erforsche mich. Hier ist vieles verborgen. Und wenn du bereit bist, dich auf meine Fährten zu begeben, erzähle ich dir vielleicht auch meine Geschichte.
    Doch pass auf! Bewegst du dich zu eilig, werden einige Dinge für immer verborgen bleiben. Lässt du dir aber zu lange Zeit, wird vieles von dem, was es zu entdecken gilt, überwuchert.
    …
    Fast hätte Wencke mit der Hacke ihres Turnschuhs den rußigen Fleck auf dem Holz verwischt. Flecken sah man unzählige, wenn man nach unten schaute: kalligraphische Linien fast, die Wassertropfen auf den Dielen hinterlassen hatten, neben schwarzen Kreisen aus Motoröl und grünen Farbklecksen, die beim Streichen der Decke heruntergetropft sein mussten. Alles alte Spuren. Doch die Asche war frisch.
    Genauso frisch wie der größte Fleck von allen, der sich so ziemlich genau in der Mitte des Bootsschuppens ausbreitete. Ein braunroter See, an den meisten Stellen bereits in der Maserung versickert, nur auf den Astlöchern der Fußbodenbretter lag das Blut noch nass und glänzend.
    |8| Wencke richtete sich wieder auf. »Sie haben zusammen geraucht.«
    Kriminalhauptkommissar Wachtel schaute durch die fast blinden Scheiben nach draußen, als sei ihm das alles hier zu blöd. »Rocker rauchen immer und überall.« Die Augen hinter den starken Brillengläsern waren so schmal, dass man nicht erkennen konnte, ob er wirklich etwas beobachtete oder nur den Blickkontakt zu vermeiden suchte. »Und alles«, ergänzte er schließlich.
    »Im Aschenbecher auf dem Tisch liegen vier filterlose Kippen. Und auf dem Boden wurde dieselbe Anzahl ausgedrückt.« Wencke beugte sich noch einmal nach unten, auch wenn der Geruch geronnenen Blutes unangenehmer wurde, je weiter man sich dem Boden näherte. »Es sieht zumindest danach aus. Vier Ascheflecken. Aber die Zigarettenstummel sind nicht da. Oder hat die Spurensicherung die Beweise schon   …«
    »Wir haben alles fürs Erste so gelassen, Frau Tydmers. Wie besprochen. Meine Männer sind keine Dilettanten.« Man sah dem Leiter der Schweriner Mordkommission deutlich an, dass er sich wenig von dem versprach, was Wencke Tydmers und ihr Kollege Boris Bellhorn hier trieben – sie im Innenbereich, Bellhorn war gerade auf dem Außengelände beschäftigt. Wahrscheinlich würde Wachtel in den nächsten Minuten einen Satz sagen wie: »Operative Fallanalyse klingt für mich nach Hokuspokus« oder: »Die deutsche Polizei ist jahrelang gut damit gefahren, akribisch die Spuren am Tatort auszuwerten, was brauchen wir also Leute, die versuchen, in den ganzen Scheiß noch was hineinzuinterpretieren?« Vorerst aber begnügte er sich mit einem eindrucksvoll-muffigen Gesichtsausdruck.
    »Wie lange hat die Spurensicherung gebraucht, das gesamte Chaos zu archivieren?«
    »Schauen Sie sich doch um. Mit ein, zwei Stunden ist da keinem geholfen   …« Er selbst schaute sich überhaupt nicht |9| um, sondern ließ seinen Blick lieber schweifen: nach draußen, wo keine zwei Meter entfernt der Pinnower See lag, mit Enten und Libellen und Seerosenblättern auf der spiegelglatten Wasseroberfläche und mannshohem Schilfgras am Ufer.
    Schön war der Anblick hier drinnen wirklich nicht. Es gab kaum etwas, das so aussah, als befände es sich an dem ihm zugedachten Platz. Lediglich der Aschenbecher stand noch auf dem Tisch und die zwei leeren Literflaschen, in denen sich ursprünglich Mineralwasser befunden hatte. Gerade die Dinge, die noch an Ort und Stelle waren, interessierten Wencke.
    Doch das Chaos ringsherum war fast übermächtig. Die beiden Ruderboote, für die diese Hütte gebaut worden sein mag, waren wahrscheinlich schon länger nicht mehr in Gebrauch. Sie vermittelten den Eindruck, dass man mit ihnen bestenfalls bis zur Seemitte gelangte, für den Rückweg brauchte man aber schon großes Glück und müsste mindestens mit nassen Füßen rechnen. Das kleinere, blau gestrichene Boot schob sich längsseits auf die Werkbank, und der rostige Griff einer Schraubzwinge war durch die Planken gedrückt worden. Das Größere – ursprünglich mochten bis zu sechs Personen darin Platz gefunden haben – war im vorderen Drittel komplett zertrümmert. Die passende Axt lag daneben, der scharfe
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