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Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
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Dieser hatte, von Hitze, Wut und Rachsucht entstellt, auf der Jagd nach seinem Schwager die Straßen durchstreift. Sobald er aber den flüchtigen Sekretär bemerkte, nahm sein Zorn ein anderes Ziel, und er kam mit heftigen Handbewegungen und lauten Verwünschungen die Gasse heraufgerannt.
    Harry setzte mit einem mächtigen Sprunge in das Haus hinein, das Mädchen vor sich her schiebend, und die Tür flog dicht vor dem Verfolger ins Schloß.
    »Ist der Riegel vor? Wird er halten?« fragte Harry, während draußen der Klopfer gerührt wurde, daß es durch das ganze Gebäude schallte.
    »Aber was fehlt Ihnen?« fragte das Mädchen. »Ist's der alte Herr?«
    »Wenn er mich kriegt,« flüsterte Harry, »bin ich so gut wie tot. Er ist heute schon den ganzen Taghinter mir her, er hat einen Stockdegen und ist ein Offizier aus Indien.«
    »Das sind nette Geschichten,« rief das Mädchen. »Und wie heißt er denn?«
    »Es ist der General, mein Herr,« lautete die Erwiderung. »Er hat es auf die Putzschachtel abgesehen.«
    »Hab' ich's Ihnen nicht gesagt?« rief das Mädchen triumphierend. »Ich sagte Ihnen, daß ich von Ihrer Frau von Vandeleur gar nichts halte. Und wenn Sie Augen im Kopfe hätten, so könnten Sie auch sehen, was sie Ihnen gegenüber ist. Ein undankbares Frauenzimmer, weiter nichts; darauf will ich wetten.«
    Der General erneuerte seinen Sturmangriff mit dem Klopfer, und da seine Aufregung mit der Verzögerung wuchs, so bearbeitete er bald die Tür auch mit Händen und Füßen.
    »Es ist ein Glück,« bemerkte das Mädchen, »daß ich allein im Hause bin; Ihr General kann hämmern, bis er 's satt ist, aufmachen wird ihm niemand! Kommen Sie!«
    Damit führte sie ihn in die Küche, wo sie ihn zum Sitzen einlud und sich, indem sie ihm eine Hand auf die Schulter legte, in zärtlicher Haltung neben ihn stellte.
    Das Getöse an der Tür wurde statt schwächer immer ärger, und jeder Schlag ließ den unglücklichen Sekretär bis ins Herz erbeben.
    »Wie heißen Sie?« fragte das Mädchen.
    »Harry Hartley,« erwiderte er.
    »Und ich,« fuhr sie fort, »Prudence. Gefällt Ihnen der Name?«
    »Sehr gut,« sagte Harry. »Aber hören Sie nur, wie der General gegen die Tür donnert. Er wird sie sicher einschlagen, und dann, in des Himmels Namen, ist mir der Tod gewiß.«
    »Sie machen sich ganz unnötige Sorgen um nichts,« antwortete Prudence. »Lassen Sie Ihren General klopfen, er wird sich höchstens Blasen dabei holen. Glauben Sie, ich würde Sie hier behalten, wenn ich nicht sicher wäre, daß Ihnen nichts geschehen kann? O nein, ich erweise denen, die mir gefallen, eine aufrichtige Freundschaft, und wir haben auch eine Hintertür, die auf eine andere Gasse führt. Aber,« fügte sie hinzu, indem sie ihn zurückhielt, da er bei der willkommenen Nachricht sofort aufgesprungen war, »aber ich zeige Ihnen die Türe nicht, wenn Sie mir nicht einen Kuß geben.«
    »O, das will ich,« rief er, sich auf seine Ritterlichkeit besinnend, »und nicht wegen der Hintertür, sondern weil Sie so hübsch und gut sind.«
    Dabei verabreichte er ihr zwei oder drei feurige Küsse, die in gleicher Weise erwidert wurden.
    Dann führte ihn Prudence zu der Hintertür und legte ihre Hand an den Schlüssel.
    »Werden Sie wiederkommen und mich besuchen?« fragte sie.
    »Freilich will ich,« sagte Harry. »Verdanke ich Ihnen nicht mein Leben?«
    »Und nun,« fügte sie hinzu und öffnete die Tür, »laufen Sie, so schnell Sie können, denn ich werde den General hereinlassen.«
    Harry bedurfte schwerlich dieses Rates, denn dieFurcht saß ihm im Nacken, und mit allem Fleiße machte er sich auf die Flucht. Mit ein paar Schritten, dachte er, würde er ferneren Heimsuchungen entgehen und zu Frau von Vandeleur in Ehren wie in Sicherheit zurückkehren. Aber diese paar Schritte waren noch nicht getan, als er plötzlich eine laute Männerstimme unter Verwünschungen seinen Namen rufen hörte und, sich umblickend, Karl Pendagron bemerkte, der ihn mit beiden Händen zurückwinkte. Dieser plötzliche neue Zwischenfall fiel ihm so auf die Nerven, und er befand sich in einem Zustande so hochgradiger Aufregung, daß er gar nichts anderes zu tun wußte, als seinen eiligen Schritt nur noch zu verdoppeln. Er hätte sich doch an die Szene im Kensington-Parke erinnern und bedenken sollen, daß, wo der General sein Feind war, Karl Pendragon sein Freund sein mußte. Aber bei dem fieberhaften und verwirrten Zustande seines Geistes war er zu jeder vernünftigen
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