Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Titel: Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Autoren: Peter Probst
Vom Netzwerk:
1.
    22.   Juni 2004
     
    Er war wie blind davongelaufen, gestolpert, auf dem Kies gestürzt, hatte sich wieder aufgerappelt und wütend an seinen Handballen gesaugt, die voller Split waren. Seine Freunde, die Arschlöcher, würden sich wundern, wenn er zum ersten Mal in diesem beschissenen Leben ernst machte. Wenn er jetzt mit dem Auto voll gegen die nächste Wand fuhr.
    Doch als er hinter dem Steuer des bulligen Geländewagens saß, kamen ihm plötzlich Zweifel. Wieso ließ er das alles mit sich machen, wieso war er immer das Opfer?
    Er hieb drei, vier Mal mit der höllisch schmerzenden Hand auf die Hupe, der Schleicher vor ihm gab die Spur nicht frei. Wenn er jetzt einen Panzer hätte, würde er ihn und die ganzen anderen Idioten einfach von der Straße räumen. Wäre er bloß nicht in die Landsberger eingebogen, wo es immer Stau gab. Wohin wollte er denn überhaupt? Er hätte nie abhauen dürfen, einfach abhauen wie der letzte Feigling.
    Dann kam der Hass.
    Ein brennender Hass.
    Feuer, ja, das war es. Wenn die Wohnung in Flammen aufging und sie als schreiende Fackeln herausliefen, würde es ihm besser gehen.
    Er bog in die nächste Tankstelle ein, ließ die Wagentür bei laufendem Motor offen. Er rannte in den Markt, fand einen Kanister, betankte ihn, bis er überlief. Er sah, dass die fette Frau hinter der Kasse misstrauisch in seine Richtung äugteund das Kennzeichen notierte. Egal. Der Wagen gehörte seiner Mutter. Sollte sie doch bezahlen, wie immer.
    Er hielt nicht lange nach einer Lücke Ausschau und drängte sich rücksichtslos in die dahinkriechende Wagenkolonne. Der Fahrer hinter ihm blendete auf und machte eine Drohgebärde. Er überlegte kurz, ob er aussteigen und ihm die Faust ins Gesicht schlagen sollte, lächelte aber nur verächtlich. Er schob eine CD ein.
    Die Musik zum Film, dachte er.
    Rammstein. Ein Mensch brennt. Rammstein . Fleischgeruch liegt in der Luft.
    Er sprach laut mit. »Ein Flammenmeer   … Blut gerinnt auf dem Asphalt.« Seine heisere Stimme war ihm fremd.
    Der alte Mercedes 190 vor ihm bremste so überraschend, dass er nur Zentimeter hinter ihm zum Stehen kam. Auf der Rückbank saß eine Frau mit Kopftuch. Neben ihr drei Kinder. Das kleinste drehte sich zu ihm um und winkte. Er zeigte ihm den gestreckten Mittelfinger. Das Kind schnappte erschrocken nach Luft.
    Zehn Minuten vergingen, ohne dass etwas geschah. Als hätte jemand die Zeit angehalten. Einzelne Fahrer standen neben ihren Autos, riefen sich etwas zu und deuteten nach vorne, wo blaue und orangefarbene Lichter blinkten. Er war eingekeilt. Er hörte den Song zum dritten Mal.
    Rammstein. Ein Massengrab. Rammstein . Kein Entrinnen.
    Die Uhr auf dem Armaturenbrett sprang auf 17:07   Uhr, als knapp hundert Meter vor ihm aus einem Durchgang in der hohen, begrünten Lärmschutzwand fünf Jugendliche traten. Die vier Jungen und das Mädchen trugen Trainingsanzüge und Sporttaschen
.
    Er wusste sofort, woher sie kamen. Blau-Weiß 57, ihr beschissener Judenverein, lag gleich hinter der Wand.
    Der kleinste, ein Rotschopf, hielt die anderen auf und erzählte etwas. Als er fertig war, schaute er erwartungsvoll zu seinen Freunden. Sie brachen in Gelächter aus. Ein Witz also, ein Judenwitz sicher. Nur das Mädchen schüttelte missbilligend den Lockenkopf. Es war hübsch, verdammt hübsch sogar.
    Die Gruppe setzte sich wieder in Bewegung und kam auf dem breiten Gehweg näher. Der Rotschopf ging rückwärts vor seinen Freunden her und machte weiter den Clown. Diesmal brachte er auch das Mädchen zum Lachen. Es machte zwei, drei schnellere Schritte, legte den Arm um ihn und schmiegte sich an ihn.
    So waren sie, die Weiber. Alle. Auf solche Typen fielen sie rein. Auf Sprücheklopfer und Witzereißer. Er sah, wie das Mädchen den Jungen auf den Mund küsste, die Nutte.
    Er drückte das Gaspedal voll durch.
    Der Geländewagen schoss an einem geparkten Fahrzeug auf der Standspur vorbei, über den Fahrradweg auf die Gruppe zu. Das Mädchen riss noch den Mund zum Schrei auf und wirbelte schon durch die Luft wie eine Stoffpuppe. Ein Rucken ging durch den Wagen, als führe er über einen zu hohen Bordstein. Aber der Widerstand war weicher. Dann noch ein Rucken.
    Tim Burger hielt sich mit beiden Händen am Lenkrad fest und starrte auf den großen roten Fleck auf seiner Windschutzscheibe. Haare klebten drin und eine Masse, die ihn an Katzenfutter erinnerte. Er war ganz ruhig, sein Schmerz war vergessen, der Hass verflogen. Dann riss jemand die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher