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Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
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aber, der mit seinem lahmen Fuße nicht so schnell ausweichen konnte, fing den Streich mit seinem Schirm auf, rannte dann gegen seinen gefährlichen Widersacher und umfaßte ihn.
    »Lauf, Harry,« rief er; »lauf, du Dummkopf!«
    Harry stand einen Augenblick versteinert, wie er die beiden in heißem Ringkampf einander umschlingen sah; dann wandte er sich und gab Fersengeld. Als er noch einmal den Kopf wandte, lag der General unter Karls Knie, machte aber noch verzweifelte Anstrengungen, das Kriegsglück zu wenden; auch schien sich der vorher einsame Teil des Parkes mit Leuten gefüllt zu haben, die von allen Seiten zu dem Schauplatz des Kampfes herbeieilten. Dieser Anblick lieh dem Sekretär Flügel, und er mäßigte erst seinen Schritt, als er die Bayswaterstraße erreicht hatte und aufs Geratewohl in eine einsame Nebengasse einbog.
    Lange war er, in nicht gerade angenehme Gedanken über das eben Erlebte vertieft, durch verschiedeneStraßen fortgegangen, als er plötzlich an einen Vorübergehenden anstieß und so an die Putzschachtel, die er unter dem Arme trug, erinnert wurde.
    »Himmel!« rief er, »wo hatte ich nur meinen Kopf, und wohin bin ich gekommen?«
    Er wandte sich an den ersten Schutzmann und fragte ihn höflich nach dem Weg. Es ergab sich, daß er seinem Ziele bereits sehr nahe war, und wenige Minuten brachten ihn zu einem frischgetünchten und von peinlichster Sauberkeit zeugenden Häuschen in einer kleinen Gasse. Klopfer und Klingelzug glänzten blitzblank, blühende Blumentöpfe zierten die Fenstersimse, und kostbare Vorhänge ließen die Augen Neugieriger nicht in das Innere dringen. Das Haus kam Harry so würdig und geheimnisvoll vor, daß er noch bescheidener, als es gewöhnlich seine Art war, anklopfte und seine Stiefel mit besonderer Sorgfalt abstrich.
    Ein nicht übel aussehendes Dienstmädchen öffnete sofort die Tür und schaute den Sekretär mit nichts weniger als unfreundlichen Augen an.
    »Dies ist das Paket von Frau von Vandeleur,« sagte Harry.
    »Ich weiß schon,« erwiderte das Mädchen kopfnickend, »aber der Herr ist nicht da, wollen Sie es hier lassen?«
    »Das geht nicht,« antwortete Harry. »Ich habe die Weisung, es nur unter einer ganz bestimmten Bedingung aus den Händen zu geben, und muß Sie bitten, fürchte ich, mich hier so lange warten zu lassen, bis der Herr kommt.«
    »Gut,« sagte sie, »ich denke, ich darf Sie warten lassen. Ich lebe einsam genug, kann ich Ihnen sagen, und Sie sehen auch nicht aus, als würden Sie ein Mädchen aufessen. Aber seien Sie so gut und fragen Sie nicht nach dem Namen des Herrn, denn den darf ich Ihnen nicht sagen.«
    »Was Sie sagen!« rief Harry. »Wie sonderbar! Aber seit einiger Zeit bin ich von lauter Sonderbarkeiten umgeben. Eine Frage aber, denke ich, kann ich tun, ohne unbescheiden zu sein: Ist er der Besitzer des Hauses?«
    »Er ist nur Mieter, und zwar ein noch keine acht Tage alter,« entgegnete das Mädchen. »Und nun eine Gegenfrage: Kennen Sie Frau von Vandeleur?«
    »Ich bin ihr Privatsekretär,« versetzte Harry, in bescheidenem Stolze erglühend.
    »Sie ist hübsch, nicht wahr?« fuhr das Mädchen fort.
    »O, schön!« rief Harry; »wunderbar lieblich und auch ebenso gut und freundlich!«
    »Sie selbst sehen recht freundlich aus,« gab sie zurück, »und ich wette, Sie wiegen ein ganzes Dutzend Frau von Vandeleurs auf.«
    Harry war ganz empört.
    »Ich,« rief er, »ich bin nur ihr Sekretär!«
    »Sagen Sie das zu mir, weil ich nur ein Dienstmädchen bin?« fragte das Mädchen, fügte aber, als sich in seinem Gesicht einige Verlegenheit und Verwirrung ausdrückte, hinzu: »Ich weiß, Sie meinen es nicht so, und Sie gefallen mir auch recht gut; aber ich denke an Ihre Frau von Vandeleur. O, dieseDamen!« rief sie. »Einen wahren Gentleman wie Sie mit einer Putzschachtel fortzuschicken – am hellen Tage!«
    Während dieser Unterhaltung waren sie in ihren ursprünglichen Stellungen stehengeblieben, sie auf der Türschwelle und er auf dem Bürgersteig, wegen der Schwüle mit dem Hut in der Hand und die Putzschachtel unter dem Arme haltend. Aber bei den letzten Worten wurde Harry, den so unverhüllte Schmeicheleien über sein Äußeres und die gleichzeitigen aufmunternden Blicke in Verwirrung brachten, unruhig und schaute in seiner Verlegenheit nach rechts und links. Dabei nahmen seine Augen ihre Richtung auch nach dem unteren Ende der Gasse und trafen dort zu seinem unbeschreiblichen Entsetzen auf die des Generals Vandeleur.
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