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Des Rajahs Diamant

Titel: Des Rajahs Diamant
Autoren: Robert Louis Stevenson
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schließlich. »Wer sind Sie, daß Sie hier über meine Mauer geflogen kommen und mir meine Gloire de dijon zerbrechen? Wie heißen Sie?« fügte er, ihn schüttelnd, hinzu, »und was haben Sie hier zu suchen?«
    Harry war außerstande, ein Wort der Erklärung vorzubringen.
    Aber eben humpelte Pendragon mit dem Fleischerburschen vorbei, und der Klang ihrer Tritte und ihr heiserer Ruf hallten laut in der engen Gasse wider.Der Gärtner hatte seine Antwort erhalten und sah mit Hohnlachen auf Harry nieder.
    »Ein Dieb!« sagte er. »Auf mein Wort, und das Geschäft muß blühen, denn Sie sind vom Scheitel bis zur Sohle wie ein Gentleman angetan. Schämen Sie sich nicht, so geputzt umherzustolzieren, während Ehrenmänner, wahrhaftig, froh sind, wenn sie Ihren abgelegten Hut beim Trödler lausen können? So sperr' doch den Mund auf, du Hund,« fuhr er fort. »Du verstehst mich doch, denk' ich, und ich will dich schon zum Reden bringen, eh' ich dich zur Polizei schaffe.«
    »Glauben Sie, Herr,« sagte Harry, »das ist nur ein schreckliches Mißverständnis, und wenn Sie mit mir zu Sir Thomas Vandeleur am Eaton-Platz gehen wollen, wird sich alles, verspreche ich Ihnen, aufklären. Der ehrlichste Mensch kann, wie ich jetzt einsehe, in eine verdächtige Lage kommen.«
    »Kleiner,« erwiderte der Gärtner, »ich gehe mit dir keinen Schritt weiter als bis zur Polizeistation in der nächsten Straße. Der Inspektor wird sich dann jedenfalls sofort die Ehre geben, mit dir einen Spaziergang zum Eaton-Platz zu machen und mit deiner vornehmen Bekanntschaft eine Tasse Tee zu schlürfen. Oder willst du nicht lieber gleich zum Minister des Innern? Sir Thomas Vandeleur, hat sich was! Denkst du etwa, ich kann mit meinen Augen nicht einen Gentleman von einem Landstreicher wie du unterscheiden? Feine Kleidung oder nicht, ich kann dich lesen wie ein Buch. Hier das Hemd kostet vielleicht so viel wie mein Sonntagshut, und dieser Rockist, wett' ich, noch niemals beim Trödler gewesen, und dein Schuhwerk –«
    Als der Mann hierbei seine Augen auf den Boden richtete, brach er plötzlich in seiner Schmährede ab und schaute einen Augenblick gespannt auf einen Gegenstand zu seinen Füßen. Dann sagte er mit sonderbar veränderter Stimme:
    »Was, in Gottes Namen, ist denn das?«
    Harry folgte der Richtung seiner Augen, und es bot sich ihm ein Schauspiel, das ihn vor Schrecken und Erstaunen starr machte. Bei seinem Sturz war er gerade auf die Putzschachtel zu liegen gekommen, diese war von einem Ende bis zum andern geplatzt, und aus ihrem Innern hatte sich ein ganzer Schatz von Diamanten ergossen und lag nun offen da, zum Teil halb in den Boden getreten, zum Teil in wahrhaft königlicher, gleißender Fülle auf die Erde umhergestreut. Er bemerkte ein prächtiges Diadem, das er oft an Frau von Vandeleur bewundert hatte. Ringe, Broschen, Ohrgehänge und Armbänder, sogar noch ungefaßte Brillanten, die hier und da gleich Tautropfen zwischen dem Rosengebüsch erglänzten. Ein fürstliches Vermögen lag zwischen den beiden Männern, ein Vermögen in der lockendsten, gediegensten und dauerhaftesten Form, das man in einer Schürze forttragen kann, schön und reizvoll an sich und den Sonnenschein in einer Million Regenbogenstrahlen zurückwerfend.
    »Guter Gott!« stieß Harry hervor, »ich bin verloren!«
    Mit unberechenbarer Schnelligkeit flogen seine Gedankenrückwärts, und es enthüllte sich ihm mit einem Schlage der innere Zusammenhang seiner Abenteuer während der letzten Stunden und der unselige Wirrwarr, in den er hineingerissen war. Er schaute sich wie hilfesuchend um, aber er war allein im Garten mit seinen ausgesäten Diamanten und seinem furchtbaren Gegenüber, und sein lauschendes Ohr vernahm keinen andern Ton als das Rauschen der Blätter und den beschleunigten Schlag seines eigenen Herzens. So war es kein Wunder, daß sich der junge Mann völlig rat- und mutlos fühlte und mit gebrochener Stimme seinen letzten Ausruf wiederholte:
    »Ich bin verloren!«
    Der Gärtner lugte scharf und scheu nach allen Richtungen, aber an keinem Fenster war ein Gesicht zu bemerken, und er schien aufzuatmen.
    »Fass' dir 'n Herz, du Narr!« sagte er. »Das Schlimmste hast du hinter dir. Warum konntest du mir nicht gleich sagen, daß es für zwei genug war?« wiederholte er, »ja für zweihundert! Aber komm fort von hier, wo man uns beobachten könnte, und sei gescheit, streich dir den Hut glatt und mach' dir die Kleider rein. So lächerlich, wie du jetzt
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