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Der wunderbare Massenselbstmord

Titel: Der wunderbare Massenselbstmord
Autoren: Arto Paasilinna
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selbstzerstörerische Gedanken umwandelte. Er hatte sich bereits im Frühjahr zu Zeiten des Konkurses der Wäscherei umbringen wollen, aber irgendwie hatte er nicht einmal dazu die Kraft aufgebracht.
    Jetzt war Johannistag. Onnis Frau war in der Stadt geblieben, sie hatte gesagt, dass sie sich das Fest nicht auf dem Lande bei ihrem trübsinnigen Mann verderben lassen wolle. Ein einsamer Mittsommerabend ohne Lagerfeuer, ohne Gesellschaft, ohne Zukunft. So etwas macht keinem Menschen Spaß.
    Onni Rellonen stellte die Bierflasche auf die Schwelle und ging ins Haus. Im Schlafzimmer öffnete er eine Kommodenschublade, zog seinen Revolver heraus, lud ihn und steckte ihn in die Tasche seiner Cordhose.
    Das war’s dann wohl, dachte er traurig, aber ent­ schieden. Nach langer Zeit hatte er wieder das Gefühl, etwas in Angriff zu nehmen, Schwung in eine Sache zu bringen. Es war an der Zeit, einen Punkt hinter das nutzlose Dasein zu setzen. Einen großen Punkt hinter das ganze Leben, ein dröhnendes Ausrufezeichen!
    Onni Rellonen wanderte durch die dörfliche Land­ schaft. Vom Gesang der Vögel begleitet, schritt er über den kiesbestreuten Zufahrtsweg, überquerte das Nach­ bargrundstück, passierte Äcker, eine Scheune, einen Kuhstall und ein Bauerngehöft. Hinter einem kleinen Waldstreifen begann ein neues Feld. Onni erinnerte sich, dass am Waldrand eine alte, verfallene Scheune stand. Dort könnte er sich erschießen, es wäre ein stiller Ort und die richtige Umgebung, seine Tage zu beenden.
    Hätte er einen Abschiedsbrief auf dem Tisch zurück­ lassen sollen? Um was zu schreiben? Adieu, liebe Kin­ der, versucht klarzukommen, euer Vater hat seinen Entschluss gefasst…? Und an seine Frau gerichtet: Tadle mich nicht…?
    Onni Rellonen stellte sich die Reaktion seiner Frau vor, während sie die Worte las. Ihr Kommentar wäre vielleicht:
    »Krmh.«
    Das Feld roch nach saftigem Gras, der Bauer hatte am vergangenen Tag Grünfutter gemäht. Die Landleute arbeiten – ihr Vieh zwingt sie dazu – auch am Mittsom­ merabend. Die Hummeln summten, die Schwalben zwitscherten unter dem Dach der alten Scheune. Vom See klang das Kreischen der Möwen herüber. Mit Eises­ kälte im Herzen schritt Onni Rellonen auf die Scheune zu, ein altes graues Gebäude, das zu nichts anderem mehr taugte, als sich darin das Leben zu nehmen. Das Gebäude näherte sich, stand viel zu plötzlich vor ihm, sein Leben endete schneller als gedacht.
    Onni Rellonen brachte es nicht fertig, schnurstracks durch die klaffende Doppeltür zu treten, die wie der schwarze Höllenschlund auf ihn wartete. Er verlängerte unwillkürlich sein Leben, umrundete das Gebäude wie ein verwundetes Tier, das sich seinen letzten Ruheplatz sichert. Er spähte durch die Ritzen zwischen den mor­ schen Balken ins Innere, und es graute ihn. Aber der Beschluss war gefasst, er musste die Runde vollenden und dann eintreten, musste dem Tod ins Auge sehen, die Waffe abfeuern. Eine kleine Bewegung am Abzug: die letzte Geschäftsoperation, und der Saldo stünde auf null, der allerletzte Saldo von Leben und Tod. Es schau­ derte ihn.
    Aber in der Scheune war jemand! Durch die Ritzen sah Onni etwas Graues, hörte Ächzen. Ein Reh? Ein Mensch? Onni Rellonens geplagtes Herz hüpfte vor Glück. Man kann sich wohl nicht gut in einer Scheune umbringen, in der sich ein Tier oder im besten Falle ein Mensch befindet?. Nein, das hat keinen Stil!
    In der Scheune war tatsächlich ein Mensch, ein gro­ ßer Mann in grauer Militäruniform, der auf einen Stapel Heustangen gestiegen war und ein blaues Nylonseil am Deckenbalken befestigte. Bald war das Seil fest verzurrt.
    Der Mann stand seitlich zum hereinspähenden Selbstmörder. Onni Rellonen stellte fest, dass der Mann Offizier war, er trug gelbe Streifen an seiner Uniformho­ se. Den Waffenrock hatte er geöffnet, am Kragenspiegel waren drei Rosetten zu erkennen. Ein Oberst.
    Onni Rellonen begriff zunächst nicht, was ein Oberst am Johannismorgen in einer alten Scheune zu schaffen hatte. Wozu hatte er oben an der Decke ein Nylonseil befestigt? Bald wurde ihm die Absicht des Mannes je­ doch klar. Der Oberst knotete am anderen Ende des Seils eine Schlinge. Das Seil war glatt, wie es Nylonseile nun einmal sind, die Schlinge war schwer zu knüpfen. Der Oberst knurrte leise vor sich hin, fluchte mögli­ cherweise. Seine Beine zitterten auf dem Heustangen­ stapel, Onni sah es an der flatternden Hose. Schließlich hatte der Oberst die Schlinge halbwegs
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